{ 42. Kapitel }

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„Neyin. Warum wundert es mich so gar nicht, dich nun hier zu treffen?"

Ich wandte mich um und erblickte Dasyl, der mit vor der Brust verschränkten Armen am hölzernen Türrahmen lehnte. Einen Moment lang verharrte ich in dieser Position, doch dann hatte ich meinen Schock darüber, den dunkelhaarigen Layphen hier in diesem grausam entstellt wirkenden Zimmer zu sehen, überwunden.

„Dasyl. Was habt ihr Ana angetan?" Ich verengte meine Augen und ballte meine Hände instinktiv zu Fäusten, während ich es in meinen Augenwinkeln stets wiederholt rot aufschimmern sah.

Wir haben ihr gar nichts angetan", erwiderte er und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen, bevor er ihn zurück auf mich richtete. Seine Augen glühten.

„Wo ist sie dann? Und wie gelangt das...das ganze Blut hierher?" Ich atmete einmal tief durch und schloss die Augen, um mich zu beruhigen, doch sofort stand das Bild vor meinen Augen, das mir vor ein paar Minuten den Atem geraubt hatte.

Die Wände wirkten bräunlich-grau und vertraut. Sie waren aus dem kühlen, festen Stein, das das Gemäuer des schlossähnlichen Gebäudes bildete. An der linken Seite des Zimmers stand ein Bett, direkt daneben war ein großes Fenster. Wo war Ana? Ich ließ meinen Blick weiter durch das Zimmer schweifen, bis er auf den Boden fiel. Der hellgraue Untergrund war gesprenkelt von rostroten Tropfen und erst jetzt nahm ich war, das er erfüllt war von einem metallisch wirkenden Geruch, den ich erst in der vorletzten Nacht zu deutlich nach dem Angriff Sakras' an mir selbst wahr genommen hatte. Blut.

Mit einem Ruck öffnete ich meine Augen wieder und Blau traf frontal auf Rotgold. Dasyl musterte mich schweigend.

„Sag es mir! Oder habt ihr doch etwas damit zu tun?", fauchte ich, gereizt aufgrund seines Schweigens und seines bohrenden Blickes und trat einen Schritt näher.

„Wie das ganze Blut hierher gelangt?" Wieder wandte der Hüne seinen Blick von mir ab und fixierte die Tropfen auf dem Boden. Seine Nasenflügel blähten sich leicht. „Ich schätze, das solltest du deine kleine Freundin lieber selbst fragen."

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Was meinst du damit?" Auf einmal blitzte ein Gedanke in meinem Kopf auf. Sie hat sich doch nicht selber...? Unwillig schüttelte ich wieder meinen Kopf, wollte die unliebsamen Überlegungen wieder fortscheuchen. „Nein."

„Ich weiß zwar nicht, warum du deinen Kopf wild hin- und her bewegst, als würdest du wollen, dass er von deinen Schultern rollt, aber es wird nicht verhindern, was geschehen ist", drang Dasyls trockene Stimme an mein Ohr. „Sie hat es sich selbst zugefügt."

Mein Blick, der sich vernebelnd dem Boden zugeneigt hatte, klärte sich binnen eines winzigen Momentes und ich hob abrupt meinen Kopf, den Layphen fixierend. „Nein. Das kann sie nicht. Welchen Grund sollte sie...?" Ich stockte. Hatte ich ihr mit meinen Schilderungen ihrer Zukunft am gestrigen Abend nicht ausreichend Gründe geliefert, ihrem Leben selbst ein Ende bereiten zu wollen, bevor die Monster an dieser Akademie sich an ihrem Blut laben konnten? Ihre lauten Schluchzer drangen wieder an mein Ohr, als wäre der Morgen nie angebrochen und ein wild prickelndes Schuldbewusstsein befahl mich. Sollte ich daran schuld sein, dass sich ein Menschenmädchen umgebracht hatte? Ein Schleier befiel meinen Blick und trübte meine Sicht, langsam kriechender Schock und Unglaube ließen meine Glieder verharren und meine Gedanken verstummen. Es war der erste Moment in meinem Leben, in dem ich nichts mehr fühlte, denn der Schreck darüber, an dem Mord eines unschuldigen Mädchens beteiligt zu sein, hatte alles andere hinter einer unüberwindbaren Mauer verschwinden lassen. Diese Empfindung hatte keine einzige aufgeflogene Missetat in mir aufkommen lassen und ich gewann einen ersten Einblick in das, was die Welt der Nereidenwächterin, Adrienne, so verhärmt und dunkel hatte werden lassen.

Nymphenkuss Where stories live. Discover now