Kapitel 55 - Wahrheit (Part I)

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Schon ein paar Sekunden später öffnete jemand die Tür.

Aber zu meinem Erstaunen war es weder meine Mutter, noch mein 'Vater'. Es war eine etwas ältere Dame, so um die 60. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.

"Ähm..Hallo. Ich bin Ms. Harsen, die Tochter von Mr. Und Mrs. Harsen, welche ich auch suche."

"Ach, du bist also die Tochter, die verschwunden war."

Ich schaute sie fragend an. Die 'verschwundene Tochter'? War ich ernsthaft als diese bekannt?

"Es hat sich hier im Viertel herumgesprochen, dass du verschwunden seist. Ein paar Tage danach fingen die Leute hier an zu glauben, dass deine Eltern selbst damit etwas zu tun haben könnten."

Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Ich war total sprachlos, zumal ich jetzt ja auch gar nicht wusste, wo meine Eltern waren.

"Ach, komm doch erstmal rein.", bat die Frau mich und machte eine einladenden Handbewegung.

Ich ging hinein, sie schloss die Tür und sie führte mich schließlich in das altbekannte Wohnzimmer, in dem ich immer gerne gesessen hatte. Zu lange hatte ich das nicht mehr gesehen. Und jetzt, wo ich es sah, schossen viele Erinnerungen zurück in meinen Kopf. Ich erinnerte mich sogar an das letzte Mal, an dem ich her gewesen war, bevor ich entführt worden war.

Die Frau, deren Namen ich immer noch nicht wusste, setzte sich auf das Schwarze Sofa, was ich ihr gleichtat. Doch währenddessen ließ ich meinen Blick immer weiter durch den Raum gleiten.

An Möbeln hatte sich hier nichts verändert, nur persönliche Sachen, wie Bilder oder so waren weg.

Meine Eltern müssen also einfach mit den wenigsten Dingen abgehauen sein.

"Wie heißen Sie überhaupt?", fragte ich, nachdem sie mich anschaute und wohl bemerkt hatte, dass ich hier alles genauestens begutachtete.

"Ich bin Elizabeth Bell. Nenn mich aber bitte Eliza, sonst fühle ich mich noch älter, als ich wirklich bin.", sagte sie schmunzelnd.

Ich nickte lächelnd und wusste nicht recht, wie es weiter gehen sollte.

"Du fragst dich sicher, wo deine Eltern sind, oder?"

Ich nickte. Irgendwie war ich froh, dass sie das Gespräch einleitete, denn ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.

"Ja, wissen Sie- weißt du, du wo sie sind?"

"Ja, das weiß ich. Sie haben mir es gesagt, bevor ich dann hier eingezogen bin. Sie wollten, dass jemand dir sagen kann wo sie sind, wenn du da bist. Sie wollen dich gerne wiedersehen." Sie machte eine Pause, sprach dann aber weiter. "Erst hatte ich gar nicht mehr daran gedacht, dass du kommen würdest. Aber naja, so schnell kann es eben gehen."

Mein Gehirn war wie vernebelt. Ich verstand rein gar nichts mehr. Meine Eltern hatten also damit gerechnet, dass ich versuchen würde, zu ihnen zu kommen? Und sie wollten mich sogar wieder sehen?

"Und wer bist du eigentlich genau? Also bist du eine Freundin der Familie, oder so?", fragte ich. Sie wird ja wohl kein fremder Mensch für meine Eltern sein, wenn sie all das wusste.

"So kann man das sagen, ja.", sagte sie und nickte lächelnd. "Ich kenne deine Mutter schon seit fast 40 Jahren. Damals war sie ungefähr 10 und ich bin in das Viertel gezogen, indem deine Mutter gelebt hat, mit meinem Mann und meinen Kindern."

Irgendwie steckte mehr dahinter, das konnte ich spüren, nur wusste ich noch nicht, was.

"Ich habe miterlebt, wie deine Mutter weiter aufgewachsen ist. Sie war so ein aufgewecktes Mädchen, hat mit vielen anderen Kindern gespielt und war einfach glücklich. Als sie dann etwas älter wurde, so 14 oder 15 war, merkte man, dass sie sich veränderte. Es lag wahrscheinlich nur an der Pubertät, aber ich hab mir immer ein bisschen Sorgen gemacht."

"Aber du bist trotzdem mit ihr in Kontakt geblieben?"

"Nein. 10 Jahre später ist mein Mann an Krebs gestorben. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch gesehen, dass deine Mutter schwanger war, mit dir. Nur damals hatte ich mit anderen Sachen zu kämpfen, so sehr ich auch mit ihr Kontakt haben wollte. Immerhin kannte ich sie ja schon lange. Dann, nochmal ein paar Jahre später sind meine Kinder ausgezogen. Seitdem lebte ich alleine."

"Das tut mir Leid.", brachte ich mitleidig hervor. Ich weiß, dass Menschen es nicht unbedingt toll finden, wenn man ihnen immer Beileid ausspricht, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Es musste schlimm für sie gewesen sein, plötzlich so alleine zu sein.

"Das muss es nicht. Ich habe ein paar Jahre gebraucht um über den Tod meines Mannes hinweg zu kommen, aber mittlerweile ist das geschafft, und ich widme mich anderen Dingen. Aber vor kurzem wurde mir wieder alle etwas zu viel. Woran das gelegen hat, keine Ahnung, aber ich musste aus diesem Haus raus. Alles erinnerte mich an irgendwen. Es war einfach nicht mehr auszuhalten. Ich habe mir dann ein paar Häuser angeguckt und stieß dabei genau auf dieses Haus hier. Ich wusste ja nicht, dass deine Mutter, das kleine Mädchen von damals, darin lebte. Ich hatte mich also auf den Weg dorthin gemacht."

Sie machte eine Pause, so als ob sie selbst nachdenken würde, doch sprach dann weiter.

"Als ich dann deine Mutter gesehen habe...Das..Das hat mir die Sprache verschlagen. Ich habe sie sofort erkannt. Sie hatte tiefe Augenringe und sah so aus, als wenn sie tagelang nur geweint hätte. Aber dann habe ich sie gefragt was los sei, und endlich hat sie sich mir gegenüber geöffnet. All diese Jahre, in denen ich kaum etwas von ihr wusste, hatten sich erklärt. Sie hat mir von dir erzählt, von den Gerüchten und die wirkliche Wahrheit. Es tut mir Leid, dass du von all dem noch nichts weißt. aber bald wirst du die Wahrheit kennen."

Man merkte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, als sie mir das erzählte. Es muss ihr so viel Energie gekostet haben, es ohne zittern über die Lippen zu bringen, aus welchem Grund auch immer das sein mag. Doch sie sprach noch weiter.

"Sie haben mir erlaubt, hier einzuziehen und ebenfalls haben sie gesagt, wo sie sich befinden, damit ich es dir sagen kann. Es war ihnen echt wichtig und ich mache das gerne. Deine Mutter hat es so sehr verdient."

Ich lächelte schwach, da ich mit all den neuen Informationen zu meinen Eltern und meiner Geschichte klar kommen musste. Ich hatte immer noch so viele Fragen, doch jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem endlich alle Puzzleteile zusammengesetzt werden konnten.

Out of ControlWhere stories live. Discover now