Eins

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"Wacht auf meine Kleine."
Wie jeden morgen wurde ich von den raschelnden Röcken und der sanften, aber dennoch lauten Stimme meiner Amme geweckt.

Sie begann die Vorhänge zurückzuziehen, wie sie es jeden morgen tat. Jedoch war ich an diesem Morgen nicht in der Stimmung, mich über den Sonnenschein zu freuen.

"Ihr seid selber Schuld. Als ich Ihnen sagte, Liebes es ist spät geht doch bitte zu Bett. Da habt Ihr mich ins Bett geschickt! Jetzt seht was es gebracht hat."

Sie redete wie ein Wasserfall, während sie warmes Wasser herein brachte.

"Jetzt steht schon auf! Kommt!" Sie stellte sich an das Fußende meines Bettes und entzog mir die Decke.

"Ich steh gleich auf. Gib mir noch etwas Zeit." Brummte ich.

"Je länger Ihr es hinauszögern desto schneller wird das Wasser kalt. Zudem wird das Frühstück gleich angerichtet. Steht auf Liebes."

Endlich tat ich ihr den Gefallen. Müde rappelte ich mich auf. Sie band mir schon mein sehr helles Haar zurück. Auf Zehenspitzen lief ich zum Waschtisch.

Sie schüttete das Wasser in die verzierte Schüssel und ich wusch mein Gesicht und meine Arme. Danach half sie mir beim Ankleiden.

Ich hätte es alleine getan, doch mit den schweren Röcken und den vielen Bändern war es nicht einfach. Die langen Ärmel versteckten meine Arme, zusätzlich zog ich noch Seidenhandschuhe über.

Kurz betrachtete ich mich im Spiegel, während sie mir mein Haar ordnete. Ich unterschied mich vom Rest meiner Familie. Während alle von hellbraunem bis honigblondem Haar hatte, waren meine unglaublich hell. Mutter meinte einmal, sie wären fast wie Schnee.

Meine Augen waren für mich ein noch größeres Mysterium. Meine Familie hatte alle Töne die es von Blau gab. Ich dagegen hatte strahlende, grüne Augen. Lange hatte ich alle Gemälde von Verwandten und Vorfahren studiert, aber niemand hatte auch nur annähernd grüne Augen.

Während ich zum Esszimmer ging, begegnete mir niemand. Jeder wusste, dass ich um diese Uhrzeit den Weg ging. Alle waren darauf bedacht mir aus dem Weg zugehen.

Am Tisch saßen schon meine zwei Schwestern und einer meiner drei Brüder. Mutter trat aus einer anderen Tür ein.

Wir grüßten uns mit einem herzlichen 'Guten Morgen' und begannen zu essen. Auf Vater zu warten war nicht nötig.

Als König hatte er oft Besprechungen, die ihn schon vor dem Frühstück zur Pflicht riefen.

Meine Schwestern schwärmten vom baldigen Ball, bei einem Herzog. Beinahe jeden morgen redeten sie über Bälle oder irgendwelche Herren.

Dies waren Themen bei denen ich nicht mitreden konnte. Nie hatte ich bei einer Veranstaltung teilgenommen und noch nie hatte ich die die Bekanntschaft mit einem jungen Herrn gemacht.

Für meine Schwestern galt ich schon als alte Jungfer. Die Zwillinge, Esko und Ivars, fehlten. Dabei hätten sie es sicher geschafft, die beiden Mädchen zu übertönen.

Doch sie waren 17 Jahre alt und mussten langsam mit dem Regieren des Königreichs vertraut werden. Sie mussten immer mit Vater zu allen Besprechungen.

Ivars interessierte sich sehr dafür, von den Beiden war er der kopflastigere. Während Esko sofort zur Tat schritt, weshalb er sich die meiste Zeit langweilte.

Überwiegend widmete ich mich beim Frühstück meinen Gedanke.

"Wir bekommen heute Abend Gäste." Erklang Mutters Stimme. Sie verkündete dies als wäre nichts dabei und meine Schwestern begannen mit dem Ausfragen.

Dabei wusste jeder, dass es an erster Stelle an mich gerichtet war. Ich war heute zu Abend nicht erwünscht. Ich war das Geheimnis der Familie, niemand außerhalb der Mauern durfte von meiner Bürde wissen, obwohl selbst innerhalb nur wenig Leute davon wussten.

Das Meiste wovor die Diener und anderen Bewohner Angst hatten waren Gerüchte. Einfach kleine Lügengeschichten, um dem Ganze einen Grund zu geben.

Aus den Augenwinkeln sah ich wie Mutter mich eingehend betrachtete. Unmerklich nickte ich und sie widmete sich ihren anderen Töchtern.

Nach wenigen Minuten stand ich auf. "Ich fühle mich nicht besonders. Ich geh auf mein Zimmer."

So begann ich immer wenn Gäste erwartet wurden. Damit kündigte ich schon an, dass es mir am Abend schlecht gehen würde.

Meine Geschwister wussten nicht, dass es nur leere Worte waren. Einmal belauschte ich meine Schwestern, Maila und Lyra, sie vermuteten ich wäre zu scheu oder hatte vielleicht Panik.

Nichts davon stimmte. Die Zwillinge hatten es versucht aus mir heraus zubekommen. Jedoch ohne Erfolg.

Amir, der jüngste von uns hatte einfach kein Interesse an mir. Doch fand er es ungerecht, dass ich immer in meinem Zimmer bleiben durfte und er nicht.

Meine Amme verbarg ihre Verwunderung gar nicht.
"Vienna was macht Ihr so schnell wieder hier? Ihr habt nichts gegessen, oder?"

Sie tadelte mich liebevoll.
"Ich hatte nicht sonderlich Hunger. Wir erwarten heute Gäste zum Abendessen."

Das Wir bezog mich nicht ein und sie seufzte. Sie mochte es nicht dass ich ausgeschlossen wurde. Auch wenn es einen guten Grund hatte.

Sie kannte meine Fähigkeit. Sie wusste den Grund weshalb ich meine Arme und Hände verhüllte. Denn ich hütete eine grausame Kälte in mir, die anderen das Leben nahm.

Ich war nicht immer Herrin über die Kälte. Wenn jemand meine Haut in einem solchen Moment berührte, gefror dieser zu Eis.

Nur einmal entglitt mir die Kontrolle. Seitdem war ich darauf bedacht niemanden zu berühren und nach Möglichkeit Herrin über meine Gefühle zu bleiben.

Nur weil Besuch anstand hieß es nicht, dass sich irgendetwas an meinem Tagesablauf änderte. Ich durfte nur nicht aus meinen Räumen.

Die Amme leistete mir Gesellschaft.

Als am Abend die Gäste einfanden, sah ich neugierig aus einem meiner Fenster.

Der Herzog Gray trat die Stufen zu meinem Vater empor. Dicht gefolgt von seiner Gattin und ihren gemeinsamen vier Söhnen.

Vater und der Herzog waren gute Freunde und beide hofften auf eine Verbindung der Kinder. Vater scherzte immer, dass Maila und Lyra die Wahl zwischen vier hervorragenden Männern hatten.

Ich hatte diese Männer schon oft von weitem beobachtet und konnte nichts Reizvolles an ihnen finden.

Weshalb ich auch verstehen konnte, dass sich meine beiden Schwestern nicht sehr wohl bei Vaters Worten fühlten.

Da der Besuch nicht fremd war, verlor ich das Interesse. Ich kehrte wieder in meine Räume zurück. Ein Diener hatte vor einiger Zeit den Kamin entzündet, sodass der Raum angenehm warm war.

Obwohl der Sommer kurz vor der Tür stand, waren die Nächte ungewohnt frisch.

"Liebes, werden Sie heute wieder lange wach bleiben?"

Ich schenkte meiner Amme ein kleines, herzliches Lächeln.
"Hab keine Sorge. Ich habe nicht vor dich heute bis in die Nacht wach zu halten."

Sie nickte eifrig.
"Junge Leute müssen gut schlafen, damit sie frisch bleiben. Sonst verfällt die Jugend schneller als es einem lieb ist."

Ich betrachtete sie. Sie war fast sechzig, doch ihr Gesicht hatte kaum Falten. Selbst ihr dunkles Haar war noch nicht vollständig ergraut.

Diese Nacht ging ich zeitig zu Bett. Die Amme wünschte mir, eine gute Nacht und verließ das Zimmer.

Ich lauschte der Lauten Musik, die von unten bis zu mir drang. Langsam fielen mir die Augen zu.

Nur schwach drängte sich ein weiteres Geräusch in mein Bewusstsein.

Etwas was ganz in meiner Nähe zu sein schien.

Frühlingsfrost Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang