Sechs

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Noch am selben Abend hatte meine Amme unter Tränen gepackt. Es hatte sich herausgestellt, dass sie mich nicht begleiten würde.

Sie sollte sich in ihrem Alter nicht so eine Reise zumuten, dies waren die Worte meines Vaters. Ohne Hemmungen redete sie auf ihn ein, doch es war sinnlos.

Ich wollte mein Zuhause nicht verlassen, nicht aus diesem Grund, nicht mit der Aussicht nie zurück zu dürfen. Zudem würde ich auch Jinx zurück lassen müssen.

Ich wachte früher auf als sonst. Draußen war es noch dunkel und ohne ein Wort folgte mir Jared. Es war fast schon so, als würde er ahnen wohin ich ging.

Überraschenderweise fand ich bei meinem Pferd die Zwillinge vor.
Esko hatte sich im Heu ausgestreckt und Ivars saß neben ihm und las in einem Buch. Dieses legte er beiseite, als er mich kommen sah.

"Was macht ihr beiden hier?" Ivars gab seinem Bruder einen groben Stoß in die Seite, er brummte und regte sich endlich.

"Was soll-" Als er mich sah änderte sich seine Stimme. "Vienna! Ich habs gewusst! Ich wusste sie würde zu Jinx kommen." Er sah aus wie ein kleiner Junge, der gerade ein Spiel gewonnen hatte.

Verständnislos sah ich immer noch von einem zum anderen, während ich mich meiner wartenden Stute nährte. Sie war mir entgegengekommen so weit es ihr möglich war. Nun strich ich ihr über die Nase.

"Sagt mir einer von euch, weshalb ihr mein Pferd beunruhigt?"
"Wir haben mitbekommen, dass du heute das Schloss verlässt. Esko war sich sicher dich hier früher oder später zu finden."

Dieser sprang schon auf und lehnte sich gegen den Zaun.
"Sagst du uns, weshalb du weg musst und weshalb der da bei dir ist?" Er deutete mit seinem Kopf in Richtung Jared, der in der Nähe des Eingangs geblieben war.

Meine Hände zitterten leicht und ich versteckte sie schnell in Jinx dichter Mähne. Was sollte ich ihnen schon sagen? Es reichte, dass Jared wusste was für ein Monster ich war. Nachdenklich sah ich kurz zu ihm. Sein Verhalten hatte sich nicht wirklich verändert und er schien Wort gehalten zu haben.

Ich hatte nichts von Vater gehört. Seine dunklen Augen waren auf mich gerichtet, sodass ich schnell weg sah. Die Zwillinge warteten noch immer auf eine Antwort von mir. Ich wollte ihnen am liebsten alles beichten, doch ich hatte Angst davor, wie sie mich danach anschauen würden.

"Ich ... Der General wurde gerufen, um mich zu begleiten. Ich soll zu weit entfernten Verwandten reisen, sie werden sich meiner annehmen." Log ich mit fester Stimme. Ich konnte nicht verhindern Jareds bohrenden Blick auf meinem Rücken zu spüren.

Ivars kniff die Augen zusammen. Er glaubte mir noch nicht, deshalb redete ich schnell weiter. "Sie leben am Meer, es wird mir gut tun die salzige Luft zu atmen."

Ich war noch nie am Meer gewesen und würde dieses niemals sehen. Traurigkeit nahm wieder von mir besitz. Ein letztes mal sah ich in Jinx große Augen. Esko schien nichts bemerkt zu haben und auch meiner Lüge glaubte er blind.

"Wie gemein! Du darfst reisen und wir sitzen hier und sollen an langweiligen Verhandlungen teilnehmen."

Fest sah ich ihm in die Augen. "Sag so was nie wieder so leichtfertig!" Meine Stimme war ungewohnt scharf geworden. So hatten sie mich noch nie gehört. Als ich fortfuhr wurde mein Ton weicher.

"Bitte, tut alles um gute Könige für dieses Land zu werden. Ihr Beide seid ein Ganzes und nur deshalb bin ich mir absolut sicher, dass ihr zusammen gut regieren werdet." Ihnen war nicht klar, dass dies meine letzten Worte an sie waren. Ich würde sie nie wieder sehen.

Bevor mir die Tränen kommen konnten flüchtete ich aus dem Stall. Ich hatte das Gefühl nicht atmen zu können.

In meinem Zimmer wartete schon Mutter auf mich. Sie sah unglücklich aus, doch auch sie glaubte, das Richtige zu tun. Sie schenkte mir nur belanglose Worte und leere Umarmungen. Ich hätte nicht gedacht seit dem gestrigen Tag überhaupt noch weinen zu können.

Doch nun hätte ich am liebsten los geheult. Im Gegensatz zu Mutter, brachte die Amme kein verständliches Wort heraus. Sie weinte und weinte im überfluss. Niemandem wurde es gestattet mich zur Kutsche zu begleiten.

Schließlich war es kein Abschied für immer, wie alle dachten. Vater kam nicht zu mir, ich war mir noch nicht mal sicher, ob er aus einem der Fenster zu sah.

In der dunklen Kutsche saß ich allein. Jared und seine Männer ritten um mich herum. Ich zog die Vorhänge zu, kaum, dass ich saß. Leise liefen mir die Tränen über die Wange. In wenigen Tagen würde ich eine Nonne sein.

Während ich mich im Stillen selbst bemitleidete, wurde es draußen unruhig. Wir waren schon sehr lange unterwegs und vom ewigen Sitzen schmerzten mir schon alle Muskeln. Neugierig schob ich den Vorhang ein Stück zurück und sah hinaus.

Sofort erschien Jared an meiner Seite.
"Bleibt drinnen." Seine Stimme klang angespannt, deshalb gehorchte ich. Doch ab da lauschte ich auf jedes noch so kleine Geräusch, ich konnte nur sehr undeutlich die Stimmen der Reiter hören.

Etwas schien ihnen nicht zu gefallen. Das nächste mal als ich aus der Kutsche sah, war es schon dunkel. Ich fragte mich wie lange wir noch ohne eine Pause reiten würde, als jemand schrie.

Pferde wurden laut und Männer schrien sich Befehle zu. Dann erklang Metall auf Metall. Angst breitete sich in mir aus. Die Kutsche wurde schneller und kam ins Schwanken. Es geschah das was geschehen musste. Die Kutsche kippte zur Seite.

Mit einem Auschrei kam ich schmerzhaft auf. Es dauerte bis ich wieder bei mir war, meine Seite schmerzte genauso sehr wie mein Kopf. Mit einem Ruck wurde über mir die Tür aufgerissen und ein maskierter Mann sah zu mir hinab.

Mit einem Grunzen streckte er seinen Arm zu mir hinab. Laut schrie ich auf und versuchte seiner suchenden Hand zu entkommen. Er bekam mein Haar zu fassen und zog kräftig. Vor Schmerz schrie ich noch lauter auf.

Dann spürte ich die Kälte durch meinen Körper fahren und der Griff des Mannes wich einem lauten Fluch. Einen Wimpernschlag später war der Mann verschwunden, stattdessen erschien Jareds Gesicht.

"Gebt mir eure Hand, schnell!" Ich gehorchte ein weiteres Mal aufs Wort. Mit beeindruckender Stärke zog er mich aus dem Wagen.

Ehe ich mich versah, hatte er mir seinen dunklen Umhang umgeworfen und wir eilten zu seinem Pferd. Er hob mich hoch und schwang sich hinter mir drauf. Fast schon grausam spornte er das Tier an loszulaufen.

Ich wusste nicht was mit den anderen Männern war, doch ich war froh Jared zu haben. Plötzlich hörte ich ihn an meinem Ohr knurren. Um nachzusehen wollte ich mich umdrehen, er dagegen brummte nur.

"Schaut nicht zurück!"

Wir ritten bis der Tag anbrach. Jared lag merkwürdig schwer auf mir. Es war als würde mein Rücken sein ganzes Gewicht tragen. An einem schmalen Fluss wurde das Pferd langsamer. Es begann zu tänzeln.

"Ich denke wir sollten dem Pferd gestatten eine Pause zu machen." Statt einer Antwort rutschte das Gewicht auf meinem Rücken zur Seite. Aus einem Reflex streckte ich meinen Arm aus.

Doch der Körper fiel unerbittlich zu Boden. Ich konnte nicht glauben was ich sah.

Vor mir lag Jared, in seinem Rücken steckte ein Pfeil.

Frühlingsfrost Donde viven las historias. Descúbrelo ahora