~Kluge leben von den Dummen, die Dummen von der Arbeit~

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Thorne

Ein wenig genervt legte ich auf. Dann richtete ich meinen Blick auf mein Board und wartete darauf, dass meine Assistentin endlich die Dokumente durchstellte, auf die ich seit gestern wartete. Dabei schweifte ich etwas mit meinen Gedanken ab.

Heute hatte mein Bruder den Test. Ich war wirklich gespannt, wie gut er abschneiden würden. Natürlich war ich mir sicher, dass er zu den besten gehören würde. So war es in unserer Familie schon seit der Einführung der Prüfung und so würde es immer sein. Es ging mir eher darum, ob er so gut abschneiden würde wie ich oder nicht.

Die Klatschmagazine, die man überall fand, sprachen von guten Chancen für den jüngeren. Sie sprachen davon, dass mein Bruder die Fähigkeiten dazu besaß, den Rekord zu brechen. Und das machte mich wirklich neugierig. Oder viel eher, wenn ich ganz ehrlich mit mir selbst war, unglaublich eifersüchtig.

Über mich hatten sie kein einziges Wort berichtet, keine Andeutung. Doch ich hatte den Rekord von 98 Punkten übertroffen. So hatte ich eine neue Bestleistung mit 99 Punkten erreicht, ein bisher unmöglich geglaubtes Ergebnis. Und das machte ich den Leuten in meiner Umgebung nun einmal gerne klar.

Es war unglaublich befriedigend, ihre verwirrten Blicke zu sehen, wenn ich von etwas sprach, was sie niemals verstehen würden. Doch gleichzeitig war es schrecklich zermürbend, immer alles zehnmal erklären zu müssen, bis sie mich endlich verstanden.

Ein leises Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Sofort fokussierte ich und blickte auf den neuen Ordner, der auf dem Feld vor mir erschien. Ich hob einen Finger und deutete träge auf das kleine Symbol, welches keinen Meter von mir beinah in der Luft zu schweben schien. Kurz verdunkelte der Bildschirm sich, dann tauchte das Dokument auf.

Wieder interessiert ließ ich meinen Blick über die Buchstaben schweben. Keine fünf Minuten war mir klar, worum es genau in der Verhandlung ging, der ich in einer knappen halben Stunde beiwohnen würde. Einige Friedenshüter hatten einen Mann geschnappt, der versucht hatte seinem Sohn bei dem Eignungstest zu helfen.

Also eine Angelegenheit, die schon beinahe entschieden galt. Ich konnte das Urteil schon aufsetzen, besonders da der Mann es sogar zugegeben hatte. Seufzend schüttelte ich den Kopf. Dummkopf. Und für so etwas musste ich meine Zeit opfern. 

Eigentlich müsste man ja meinen, dass ich als führender Richter die schwierigen, interessanten Fälle zugewiesen bekam. Doch irgendein Idiot hatte beschlossen, dass nur Teams aus 2 Leuten über die wirklich wichtigen Fälle entscheiden durften. Und da ich nun einmal alleine arbeitete, musste ich die ganzen Verhandlungen der Unterklasse überwachen und vor langweile fast sterben.

Seufzend starrte ich das Schild an, welches auf der vorderen Kante meines Schreibtisches stand.

Richter Hr. T. Raven Jr.

Mit einem kleinen verträumten Lächeln dachte ich an den Tag, an dem ich offiziell in den Kreis der Richter aufgenommen wurde. Nur die besten bekamen die Möglichkeit, über das Schicksal der Verbrecher und vielleicht auch der Unschuldigen zu entscheiden. Und mir hatten sie, obwohl ich erst frisch aus der Schule entlassen worden war, sofort einen Platz angeboten.

Für den ein oder anderen war es bestimmt unangenehm, mit so einfachen Fällen so viel Geld zu verdienen. Aber mir war es ziemlich egal, wie hart ich für dieses Geld arbeitete. Ich entschied schließlich nicht, welche Fälle mir zugewiesen wurden. Allein der Staat war dafür verantwortlich.

Und für eben diesen arbeitete ich. Also löste ich meinen Blick von meinem Schild.

"Diktat."

Sofort veränderte der Bildschirm sich und wurde dunkler.

Eine sanfte Frauenstimme erklang:"Bitte sprechen sie jetzt das Diktat."

Ich blickte noch einmal kurz zu dem glänzenden Etwas, dann begann ich die Standardsätze aufzusagen. Ich könnte sie auch speichern, aber dann hätte ich wirklich nichts mehr zu tun und ich würde vor lauter langweile sterben.

Keine Viertelstunde später war ich fertig. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Zeit wurde zu gehen. Also trennte ich ein etwa 5 cm mal 5 cm kleines Gerät, den Diktatspeicher, vom dem großen Board und schon ihn in die Hosentasche meines maßgeschneiderten Anzugs. Ich könnte ihn auch hierlassen, aber dann müsste ich nochmal hoch um das Diktat zu vervollständigen.

So konnte ich einfach die Länge der Verhandlung und die entsprechende Strafe ergänzen. Dann würde eine kurze Kundgebung durch meine öffentliche Vertreterin stattfinden und schon war die Sache vom Tisch. Frohen mutes schlüpfte ich in die dunkle Jacke, die über meinem Stuhl hing und drückte einen Knopf an meinem Tisch. 

Schon öffnete sich eine der beiden Türen an der gegenüberliegenden Wand und gab den Blick auf eine geräumige Kabine, meinen Privataufzug, frei. Ich trat schnell in den hellen Raum.

"Etage 13, Miss Etragon."

Nur durch einen ganz kurzen Ruck bekam ich mit, wie sich der Aufzug zügig daran machte, die 107 Stockwerke hinunter zu fahren. Keine Minute später verkündete ein leises 'Pling', dass wir das Stockwerk meiner Vertreterin erreicht hatten.

Die Tür öffnete sich lautlos und Elia Etragon, bekleidet mit einem anthrazitfarbenen Kostüm, betrat den räumigen Bereich. Mit einem sanften Lächeln nickte die Blondine mir zu. Ich erwiderte den Gruß.

"Etage 2, Verhandlungsraum 3."

Wieder glitten die Türen zu, wieder gab es einen kurzen Ruck und schon wieder öffneten sich die Türen. Ohne lang zu zögern betrat ich den großen, hellen Raum vor mir und blickte durch die Fensterscheibe, die mir den Verhandlungsraum zeigte. In eben diesem stand ein Mann mit ungeschnittenem Haar und verdreckte Kleidung, genau wie sein Pflichtverteidiger und der staatliche Vertreter.

Noch kurz betrachtete ich die so gewohnte Szene vor mir, dann nickte ich Elia zu. Sie drückte einen kleinen Knopf und schon konnte die Verhandlung beginnen. Durch die Scheibe vor mir bekam ich das Verhalten als auch die Antworten mit, doch mich bemerkte niemand. Wie jeder Richter agierte ich im Hintergrund.

Aus Sicherheitsgründen waren die Angeklagten nicht in der Lage, die Richter zu sehen. Viel zu oft hatte ein Richter sein Leben lassen müssen, weil er eine Entscheidung über einen anderen Menschen getroffen hatte.

Durch die Scheibe als auch die Vertreter wurde gesichert, dass kein Richter zu schnell starb. Zwar wurden auch manchmal der staatliche oder der persönliche Vertreter getötet, aber das Risiko war den hochbezahlten Beamten bekannt. Doch genug nachgedacht, ich musste mir eine Strafe für den Mann ausdenken.

Natürlich könnte ich einfach eine Standardstrafe auswählen, aber auch das wurde auf Dauer langweilig. Also hatte ich mir eigene Methoden ausgedacht, um die Menschen für ihre Gesetzesbrüche zu bestrafen.

Diese Strafen hatten es mir erlaubt, der Richter mit den geringsten Wiederholungstätern zu werden. Ein Fakt, der mir Bewunderung und Eifersucht von den anderen einbrachte. Etwas, auf das ich stolz war und das ich unter gar keinen Umständen aufgeben würde.


2095 - ᴡɪᴇ ɢᴜᴛ ʙɪꜱᴛ ᴅᴜ ᴡɪʀᴋʟɪᴄʜ?Where stories live. Discover now