~Es wird Zeit neue Wege zu gehen~

4.7K 369 54
                                    

Lace

Unruhig rutschte ich auf dem weichen Leder hin und her und blickte aus dem Fenster. Draußen rauschten die Häuser an mir vorbei und langsam begann die Welt sich zu ändern. Die Häuser wirkten weniger schäbig, wenn auch nicht viel prunkvoller. Zwischen den Häusern konnte man immer wieder schmale Streifen von Rasen, sehr wahrscheinlich künstlich, sehen.

Wahrscheinlich befanden sich hinter den Häusern schmale Gärten, in denen die Kinder herum tobten und die Eltern sich an ihren arbeitsfreien Stunden erholten. Kaum zu glauben, dass eine solch friedliche Welt neben den mitunter brutalen und gefährlichen Verhältnissen der Unterschicht lag.

Gedankenverloren richtete ich meinen Blick in den Himmel. Selbst dieser schien sich von dem, was ich gewohnt war, zu unterscheiden. Er wirkte fröhlicher, heller, einfach besser. Wieder stieg die Frage in mir hoch, die ich mir schon seit Jahren immer wieder stellte.

Warum? Warum gab es die Schichten?

Hatte es einen Sinn, dass es viele arme und wenig reiche Menschen gab? Hatten die, die vor dem Krieg reich gewesen waren ihre Macht sichern wollen? Oder hatte man das System willkürlich ausgewählt?

Über meine Gedanken bemerkte ich kaum, wie die Landschaft sich veränderte. Erst als es in dem Elektroauto dunkel wurde warf ich einen Blick hinaus. Neben mir ragten hohe Häuser, beinahe schon Wolkenkratzer, in den Himmel hinauf. Es schien beinah wie eine Wand aus Gebäuden, die sich gläsern und schimmernd dem Himmel entgegen streckten. Auf den Gehwegen tummelten sich Männer in Anzügen und Frauen in vornehmen Kostümen.

An den Wänden der hohen Häuser hingen gewaltige Anzeigetafeln, auf denen immer wieder kurze Videofrequenzen abgespielt wurden. Auf dem einen wurde für ein Orchester geworben, das andere pries ein Restaurant an und eine andere Tafel zeigte Ausschnitte aus den Reden für die Wahl des Präsidenten, die in wenigen Wochen fällig war.

Präsident sein war das einzige Amt, dass man sich erarbeiten musste. Erreichen konnte man es nur als Politiker oder Richter, wobei die Politiker wohl die häufiger vertretenen Präsidenten unserer eher kurzen Geschichte waren.

Wir hatten die Außenviertel der Oberschicht erreicht. Hier arbeitete eine Vielzahl der reichsten und besten Männer und Frauen. Aus dem, was wir im Unterricht gelernt hatten wusste ich, dass als nächsten die Schulen und Kindergärten folgen würden. Dann würden wir durch das Wohnviertel fahren. Je klüger man war, desto näher lebte man am Stadtkern.

Der Stadtkern, so hatte man uns gelehrt, bestand aus Einkaufsläden, Restaurants, Cafés, Clubs und weiteren Vergnügungsorten. Doch im Stadtkern arbeitete auch die Elite. Die Besten der Besten: Politiker, Richter, Anwälte, Ärzte.

Wer dort arbeitete stand über allen anderen, einmal abgesehen von dem Präsidenten und dem Senat. Diese beiden Instanzen hatten ihren Sitz in dem höchsten Turm von allen, dem Skydome. Mit über 216 Etagen schien er in den Himmel hinein zu ragen.

Doch gerade interessierte mich herzlich wenig, wie besonders der silberne Turm war. Wir hatten nämlich das Wohnzentrum erreicht. Auch hier wimmelte es von Männern, Frauen und Kindern, die über die Gehwege herliefen. Doch hier unterhielten sie sich vergnügt, schienen fröhlich zu sein. All das hier war so vollkommen anders als zuhause.

In unserem Viertel war selten etwas los gewesen. Höchstens morgens und abends, wenn die Kinder zur Schule liefen oder zurück kamen, wenn die Erwachsenen sich auf den Weg zu ihrer Arbeit machten oder sich müde heim schleppten, dann konnte man mal einem anderen Menschen begegnen.

Durch die getönten Scheiben des Wagens erkannte ich, dass wir anhielten. Sofort wurde mein Herzschlag schneller. War es das? Würde ich ab jetzt hier leben? Nichts an der Tür regte sich, ich wurde nervös. Würde bald jemand kommen und mich hier raus holen? Müsste ich vielleicht selbst aussteigen?

Gerade als ich mich mit den verschiedenen Knöpfen an der Tür auseinander setzte glitt sie lautlos auf. Überrascht zuckte ich zusammen, als jemand das Auto betrat und sich die Tür wieder schloss. Dann setzten wir uns wieder in Bewegung. Ein wenig zögernd sah ich zu dem Neuankömmling hin, der mich erwartungsvoll ansah. Es brauchte einige Sekunden, dann verstand ich weshalb.

Neben mir saß Jasper. Er grinste mich wie verrückt an.

"Hi Lace."

Ich grinste etwas verlegen, weil ich ihn nicht direkt erkannt hatte, an.

"Hey Jasper."

Dann trat eine kurze, unangenehme Stille ein. Ich wollte etwas sagen, doch Smalltalk war nicht so mein Ding also hielt ich den Mund und hoffte das Jasper etwas sagte. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die meiner Uhr nach genau eine Minute lang war, begann der andere dann auch etwas zu sagen.

"Sie haben dir nicht zufälligerweise etwas zu deinem Job oder deiner Punktzahl erzählt?"

Ein wenig beklommen schüttelte ich den Kopf.

"Nein. Und dir?"

"Sie haben mir gesagt, dass ich dein Assistent sein werde. Das führt mich zu der Annahme, dass du besser abgeschnitten hast als ich. Aber das wäre bloß eine erste Hypothese. Über unseren nächsten Stop haben sie mich ebenfalls informiert. Wir werden für dich zum Schneider fahren, dann in deine Wohnung. Da dürften wir dann mehr erfahren."

Wieder war es still. Mein Schädel brummte von den vielen Informationen, die Jasper mir gegeben hatte. Assistent? Was wollte ich mit einem Assistenten? Und warum musste ich zu einem Schneider? Reichte es nicht mir Klamotten in meiner Größe zu besorgen?

"Da wären wir."

Überrascht hob ich den Kopf. Wir befanden uns an den Rändern des Vergnügungsviertels. Hier war bedeutend weniger los als in den anderen Vierteln. Als Jasper die Tür öffnete schlug mir ein Schwall kühler Luft entgegen. Langsam, immer noch etwas befremdet, schob ich mich aus dem Wagen und stand auf dem hellen Gehweg.

Als ich jetzt inmitten all der hohen Gebäude stand, auf dem gepflegten Weg und auf Jasper wartend, kam ich mir vor, als gehörte ich nicht hier hin. Und mit meinem Pulli, der schon bessere Tage gesehen hatte und der schon verblassten Jeans stimmte das wahrscheinlich.

Als Jasper und der Beamte mich in ein kleines, gemütliches Geschäft führten war ich froh, dass nicht viel los war. Ein wenig ratlos folgte ich den beiden anderen zu einem hellen Tresen, hinter dem eine junge Frau mit Dutt saß und uns freundlich anlächelte.

"Guten Tag, was kann ich für Sie tun?"

Jasper und Ich lächelten zurück, der Beamte verzog keine Miene.

"Wir haben einen Termin bei Herr Bambo."

Ich musste mich zusammen reißen um nicht zu lachen. Bambo? Was war das denn für ein Name?

Irgendwie schaffte ich es aber, nicht zu lachen und folgte mit Jasper im Schlepptau der Dame vom Empfang und dem Beamten in ein Hinterzimmer.

"Sag nichts wegen dem Namen. Louis Bambo ist ein weltklasse Designer, warte es nur ab. Ich bin gespannt was er dir machen wird. Und weshalb uns die Ehre zukommt, einen Termin persönlich bei ihm zu haben."

Da war ich auch einmal gespannt. Besonders als mir eine Wolke Parfüm entgegen schwebte, als die Tür sich öffnete.

2095 - ᴡɪᴇ ɢᴜᴛ ʙɪꜱᴛ ᴅᴜ ᴡɪʀᴋʟɪᴄʜ?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt