~Alltag ist durch Wunder erträglicher~

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Frohe Weihnachten! Wie feiert ihr so?

Lace

"Jetzt steh endlich auf, dein Vater wartet schon."

Blinzelnd öffnete ich die Augen und starrte an meine schlecht verputzte Zimmerdecke. Einige Sekunden lag ich da wie betäubt, dann plötzlich begann es. Meine Arme und Beine taten weh. Ich hatte einen wirklich schlimmen Muskelkater. Aber weshalb?

Langsam begann ich mich an den vergangenen Tag zu erinnern. Der Wettkampf, Stellas Verletzung. All das war mit einem Schlag wieder präsent. Ich erinnerte mich wieder an die vielen Sanitäter, die sich um die Mittelschichtlerin gekümmert hatten, an die Standpauke von Anja und Jasper genauso wie die Kundgebung der Plätze.

Gestern Abend hatte ich nur noch müde ins Bett torkeln können und dementsprechend viel Hunger hatte ich. Deswegen und weil ich mich daran erinnerte, dass meine Mutter mich ja gerade geweckt hatte, schob ich mich aus meinem Bett und lief langsam über den unebenen Boden zu meinem schiefen Einbauschrank.   

Seit Jahren stellte ich mir nun schon die Frage, ob der Schrank nun so schief war oder ob der Boden eingesackt. Auch heute, während ich einen Pullover und frische Unterwäsche aus dem Schrank angelte sah ich mir die Regalbretter an und schob die T-shirts, die wieder etwas an die Hosen heran gerutscht waren, zur Seite.

Im vorbeigehen stolperte ich fast über meine Hose, die ich kurzerhand für heute mit in das Bad nahm. In dem kleinen verfliesten Raum war es wieder mal eiskalt und ich beeilte mich mit dem Duschen. Da ich es anders gewohnt war zuckte ich zusammen, als warmes Wasser über meine Haare und meinen Körper floss.

Ich als Gewohnheitskaltduscher stellte das Wasser direkt um und wusch mich dann grob. In Windeseile verließ ich die Kabine wieder und zog mich an. Dann rubbelte ich meine Haare etwas trocken und huschte leise aus dem Raum. Anja schlief bestimmt und ich wollte sie unter gar keinen Umständen wecken.

Denn sollte das passieren wäre ich tot. Auf der einen Seite würde meine Zwillingsschwester mich nämlich mit Lasern erschießen, auf der anderen Seite würde Mom mir eine Standpauke halten. Dad würde bloß daneben stehen und später seinen Freunden bei der Arbeit von meiner Strafe berichten.

Als ich also an Anjas Zimmer vorbei war warf ich meine Schlafsachen in die grobe Richtung meines Bettes und schloss die Tür, um die Unordnung etwas zu verbergen. Dann schlurfte ich die alte Treppe mit der viel zu niedrigen Decke hinab und stattete meiner Mutter in der Küche einen Besuch ab.

Wie jeden Morgen- ein Blickauf die Uhr sagte mir, dass wir Viertel nach 7 in der Frühe hatten- um diese Uhrzeit hetzte meine Mutter durch die Küche während mein Vater sich mit seiner veralteten Version eines Tablets über schon längst vergangene Nachrichten informierte und dabei immer wieder Kommentare dazu abgab.

Da ich es gewohnt war überraschte es mich nicht wirklich, als ich statt einer Begrüßung ein "Gott, sieh sich das einer an. Lace, mein Junge, wusstest du schon, dass die Regierung die Schwierigkeit des Tests erhöhen will? Meine Güte" an den Kopf geworfen bekam.

Schweigend wie ich nun mal war schüttelte ich den Kopf und ließ mich auf einen der dunklen Stühle fallen, nur um im nächsten Moment ein Brot und einen Kaffee vorgesetzt zu bekommen. Wie ein Verhungernder machte ich mich darüber her und in null Komma nichts war das Brot mitsamt Marmelade verschwunden und de Kaffee hatte sich einen anderen Wohnort gesucht.

Mit etwas beruhigtem Magen, aber kein bisschen satt, lehnte ich mich zurück und beobachtete die Morgenroutine meiner Eltern. Während das Licht durch das kleine Fenster die Szene in ein beinah romantisches Licht tauchte wurde mir schmerzlich klar, dass dieser Anblick bald vorbei sein würden.

Anja und ich würden bald weg sein und dann waren es nur noch Mom und Dad, die sich anschweigen würden. Ich konnte mir das Haus nicht ohne meine Schwester und mich vorstellen genauso wenig wie ich mir einen Alltag ohne meine Familie vorstellen konnte.

"Na, freust du dich schon, bald deinen alten Herrn los zu sein?"

Überrascht sah ich meinen Vater an. Es war gar nicht sein Stil etwas am Frühstückstisch zu sagen. Und es war auch verwunderlich, dass er mich auf dieses Thema ansprach. Die letzten Wochen hatten er und Mom standhaft geschwiegen und waren dem Thema aus dem Weg gegangen.

"Also Michael, ich bitte dich. So etwas kannst du doch nicht fragen", meinte Mom jetzt tadelnd, lächelte jedoch.

Auch ich musste Lächeln. Es war so unglaublich schön, in dieser vertrauten Umgebung zu sitzen und meinen Eltern bei ihren Gesprächen zuzuhören. Sie hatten geschafft, von was viele träumten: Trotz ihres vollgepackten Tages fanden sie immer Zeit für einander, waren nie unglücklich, hatten immer ein Gesprächsthema und machten jeden Moment zu etwas besonderem.

Ich hoffte wirklich auch einmal in einer solch ausgeglichenen Beziehung zu sein. Aber ich wusste, dass es unglaublich selten war jemanden zu finden, der in der selben Schicht lebte wie man selbst und der sich nicht nur für sich selbst interessierte.

Denn auch das war ein Nachteil in unserem System. Von klein auf lernte man, sich um sich selbst zu sorgen um eines Tages möglichst gut bei dem Test abzuschneiden und eine gute Stelle zu bekommen. Aber es nützte ja nichts sich zu beschweren. Am Ende würde man sich sowieso bloß Ärger einhandeln auf den ich gut verzichten konnte.

Ein lautes Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Blinzelnd wollte ich aufstehen, wurde aber von meiner Mutter zurück gehalten.

"Ich mache auf. Trink du lieber noch etwas Kaffee, nicht das du mir hier gleich einschläfst."

Während meine Mutter sich die Hände an der Schürze abwischte ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen und trank etwas von dem Kaffee, der auf magische Weise wieder in meiner Tasse war.

"Guten Tag."

Ich zuckte zusammen, als plötzlich ein Typ im Anzug dicht gefolgt von Mom in der Küchentür auftauchte. In dem dunklen Anzug mit Hemd und Schlips wirkte er so fehl am platz wie es nur irgendwie möglich war. Doch es war diese Andersartigkeit, die mich langsam in meinem Stuhl zu einem kleinen Haufen schrumpfen ließ. Währenddessen kreiste nur eine Frage die ganze Zeit durch meine Gedanken.    

War er wegen des Ergebnisses des Testes hier?    

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Kurzer Teil. Heute würde ich gerne letmereadforever und moonmyth für die Kommentare danken.

Danke auch an FynnWinterchild, xD_Dreamer_xD und JJennyym für die regelmäßigen und schnellen Votes.

Over and Out, AmnesiaGurl

2095 - ᴡɪᴇ ɢᴜᴛ ʙɪꜱᴛ ᴅᴜ ᴡɪʀᴋʟɪᴄʜ?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt