~Ich kann den Wind nicht ändern - Die Stellung meiner Segel schon~

4.1K 300 23
                                    

Lace

Seit beinah einer Stunde starrte ich nun auf den leicht durchsichtigen Bildschirm meines PCs und hoffte, dass ich endlich gehen konnte. Es waren mittlerweile sechseinhalb Stunden vergangen, seit Thorne dieses seltsame Urteil gefällt hatte.

Danach hatte ich fast eine halbe Stunde auf meinem Stuhl gesessen und versucht, seine Entscheidung zu verstehen. Dabei war herausgekommen, dass er den Mann dazu bringen wollte, Respekt für den anderen zu zeigen und dabei den Geschädigten mit der Anwesenheit des anderen zu nerven versuchte. Nicht mehr, nicht weniger.

Danach war jemand hereingekommen um mir zu erzählen, dass ich mich ein wenig mit dem System vertraut machen konnte, dass um 13 Uhr Mittagessen geliefert wurde und das sonst nichts, abgesehen von der Live-Veranstaltung, anstand.

Ich war dem Vorschlag gefolgt und hatte die Software so gut ausgekundschaftet wie es mir mit meinen begrenzten IT-Kenntnissen möglich gewesen war. Später dann hatte ich das Mittagessen, Sushi, gegessen und begonnen das Büro auf den Kopf zu stellen.

Dabei hatte ich nichts weiter erfahren als die Tatsache, dass es mir gefiel. Trotz der roten Vorhänge. Der Raum an sich war relativ groß, der Aufzug mit schwarzem Holz verkleidet. Daneben hatte Louis gläserne Schränke voller Bücher mit klugen Titeln wie "Urteile der vergangenen Jahrhunderte" oder "Strafgesetzbücher des 20. Jahrhundert" aufgestellt.

Auf der rechten Seite des Raumes befand sich eine große Glasfront, mit den, wie schon bemerkt, roten Vorhängen. Die gegenüberliegende Wand war beinah komplett leer, nur ein einsames Zertifikat zierte die weiße Wand. Und dieses bestätigte meine Teilnahme an der Prüfung und meine Schicht. Dann, der Tür gegenüber, befand sich mein ebenfalls gläserner Schreibtisch. Selbst die Beine bestanden aus gewundenen Glasstücken. Darauf befand sich der PC, ein Block und ein gläserner Stifthalter, voller Kugelschreiber und Touchscreen-Stifte.

Der Stuhl dahinter, mein Stuhl, war im Gegensatz zu den modernen weißen Hockern auf der anderen Seite schwarz, mit hoher Rückenlehne und aus irgendeinem unglaublich weichen Leder. An der Wand hinter mir befand sich ein großes, ebenfalls weißes Board, auf welchem man allem Anschein nach Dokumente sowohl aufrufen als auch markieren konnte. Der Boden im allgemeinen war aus einem unglaublich dunklen Holz, nur rund um meinen Schreibtisch herum befand sich ein weißer, weicher Teppich mit einer Quadratmeterzahl von vielleicht 12qm². Nicht das ich nachgemessen hätte oder so.

Zum wiederholten mal an diesem Tag wanderte mein Blick zur Uhr. 16.15 Uhr. Ich musste noch mindestens 10 Minuten hier herum sitzen. Und danach würde ich kaum Zeit zum umziehen haben, geschweige denn Zeit, um mich mental darauf vorzubereiten. Wenn ich darüber nachdachte hätte ich wohl meine freie Zeit hier nutzen können. Aber natürlich hatte fiel mir das viel zu spät ein. Typisch.

In diesem Moment hätte ich mich am liebsten geschlagen. Und vielleicht hätte ich das auch gemacht, wäre nicht im gleichen Moment der Aufzug aufgegangen. So schnell ich konnte ließ ich meine halb erhobene Hand sinken und versuchte möglichst entspannt zu Jasper zu schauen, der soeben den Aufzug verlassen hatte.

Mit gerunzelter Stirn ließ er sich auf einen der Hocker fallen. Dann begann er sich wortlos mit seiner Sitzunterlage zu drehen und blickte sich zum wiederholten Mal um. Ein wenig von diesem plötzlichen Akt überrascht lehnte ich mich zurück und beobachtete den ihn dabei, wie er Karussell spielte.

Je länger ich Jasper dabei beobachtete, desto nervöser wurde ich. Doch ich riss mich zusammen und wartete mehr oder weniger geduldig darauf, dass er endlich etwas sagte. Und, nach genau 33 Umdrehungen, hielt Jasper an und blickte mich an.

"Verrückt, oder?"

Jetzt war es an mir die Stirn zu runzeln. Was sollte das denn jetzt?

"Ich meine, vor einer Woche wusste ich nicht einmal, dass du existierst, niemand wusste das so richtig, und plötzlich arbeite ich quasi für dich und du bekommst deine eigene Live-Show."

"Und damit möchtest du sagen, dass...?", versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen.

Doch Jasper zuckte bloß mit den Achseln.

"Es ist halt alles verrückt, Diese plötzliche Veränderung."

Wieder wurde es in meinem Zimmer leise. Jasper war wieder dazu übergegangen sich zu drehen und ich trommelte mit meinen Fingern auf dem Glastisch. Wenn ich darüber nachdachte kam ich tatsächlich zu dem Ergebnis, dass es irgendwie komisch, beinah unwirklich, war.

Ich hätte wirklich nicht gedacht, das ich jemals in einem so großen Büro sitzen würde, weit oben in einem Gebäude nahe des Mittelpunktes. Viel eher hatte ich die letzten Tage hingenommen, ohne auch nur im geringsten daran zu denken, wie anders plötzlich alles war.

"Wie auch immer, es wird Zeit zu gehen. Nicht das bestimmte Leute noch beginnen, sich über uns zu beschweren."

Ich nickte und erhob mich schwer aus meinem Sessel. Dabei schien jeder Muskel in meinem Körper zu protestieren und ich begann zu bereuen, nur in diesem viel zu bequemen Ledersitz gesessen zu haben. In den nächsten Tagen sollte ich mich unbedingt mehr bewegen, sonst würde ich bald einen Arzt aufsuchen müssen.

Nach einem letzten Blick auf meinen leeren Schreibtisch um sicher zu gehen, dass ich nichts vergessen hatte, folgte ich Jasper zum Aufzug. Kaum das sich die Tür geöffnet hatte sank meine Laune. Thorne hatte ebenfalls beschlossen, in diesem Moment das Büro zu verlassen. Die einzige Reaktion, die er auf mich oder Jasper zeigte, war ein Nicken, welches ich erwiderte. Dann setzte sich der Aufzug in Bewegung und ich erlebte die Aufzugfahrt mit der wohl unangenehmsten Stille seit der Erfindung des Aufzugs.

Auch als Ms.Etragon den geräumigen Metallkasten betrat und uns fröhlich begrüßte änderte sich nichts an der Spannung. Die Autofahrt nach Hause, wie ich mir mittlerweile angewöhnt hatte zu sagen, war alles andere als herzlich. Als ich endlich mein Appartement betrat und aus den unbequemen Klamotten schlüpfen konnte atmete ich erleichtert aus.

Nur um dann, als mein Blick auf mein Bett fiel, zu sefzen. Denn darauf lag ein Kleidersack, zusammen mit einem Brief. Bereits ahnend, wer dahinter steckte öffnete ich den Brief und las mir die kurze Nachricht durch.

Lace,
eine kleine Aufmerksamkeit, damit du auch richtig gekleidet bist, wenn du dich unter deinesgleichen mischst. Nicht das du dich noch in einem Cutaway oder gar einem Stresemann kleidest.

Louis

Seufzend schüttelte ich den Kopf über meinen neugewonnenen Freund. Louis konnte es auch nicht lassen, meinen Stil als modisches Desaster darzustellen. Doch während ich mich ärgerte war ich seltsam erleichtert. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was es mit diesen anderen Anzugtypen auf sich hatte. Und das machte mich verdammt nervös. Was mir momentan nicht gerade half.

Stattdessen stellte ich mir hunderte Wege vor, wie ich mich vor allen blamierte. Und verdammt, es gab mehr Möglichkeiten als ich mir zuvor hätte träumen lassen können.

_____

Ein weiteres Kapitel, Mal wieder viel zu spät. Und das trotz Pfingstferien xD. Aber davon genug. Hoffe es gefällt euch.

Over and Out, _Amnesia_Malum_

PS: Beta-gelesen von Dirndlqueen

2095 - ᴡɪᴇ ɢᴜᴛ ʙɪꜱᴛ ᴅᴜ ᴡɪʀᴋʟɪᴄʜ?Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon