⚠️ 31.12. Streit ⚠️

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Ich spüre ein Kribbeln, aber nicht dort, wo ich es erwarte. Mehr und mehr merke ich, dass sich keinerlei Last auf meinen Lippen befindet und das Kribbeln verwandelt sich in einen pochenden Schmerz. Geschockt reiße ich die Augen auf, nur um in die glasigen Haechans zu sehen. Sein Blick ist übrerrascht, geschockt, unsicher und enttäuscht zur gleichen Zeit. Er atmet heftig und hält seine flache Hand leicht erhoben in der Luft. Fassungslos fährt meine Hand zu meiner brennenden Wange. Mein bester Freund hat mich gerade ins Gesicht geschlagen!

Als hätte er mit seiner Ohrfeige den gesamten Alkohol in meinem Körper unwirksam gemacht, komme ich langsam wieder zu mir und realisieren, was ich gerade tue. Erstaunt von mir selbst springe ich von Renjuns Schoß auf.

Ich wollte ihn tatsächlich küssen! Haechans Renjun, ich wollte gerade quasi meinem besten Freund seinen Schwarm, vielleicht auch Freund klauen. "Was soll das?", fragt er zittrig und ich spüre seine Bemühungen, nicht weinerlich zu werden. Ich packe ihn am Ellenbogen, als könnte er mir ansonsten davon laufen. "Es tut mir leid Hae, wirklich!" und kann mich selbst nicht mehr wirklich unter Kontrolle halten.

Er schüttelt seinen Kopf ebenso fassungslos, wie meinen Griff ab und greift nach seiner Jacke, die wohl irgendwo in dem rießigen Haufen auf dem Sofa zu finden ist. Ich bemerke, was er vorhat und eile ihm hinterher, als er mit aufgesetzer Pulloverkapuze in den Gang zur Haustür flieht.

Ich überhole ihn bei den Treppenabsätzen und schmeiße mich mit dem Rücken gegen die Tür. Hae rollt genervt mit den Augen und will mich wegdrücken, aber ich bleibe konstant. Wir müssen das klären, ich kann doch nicht verstritten und womöglich ohne besten Freund ein gutes neues Jahr beginnen.

"Bitte Haechan", weine ich schon fast, "es war nie meine Absicht, dass..." "Dass was?!", ist er völlig außer sich. "Mir Renjun auszuspannen?! Du kannst mir nicht einmal mein Glück gönnen, oder?" "Wie meinst du das?", frage ich sichtlich verwirrt.

"Nach Monaten besteht vielleicht die Chance, dass aus mir und Renjun etwas werden könnte, ohne dass irgendwer dazwischenfunkt. Endlich haben wir uns dazu überwunden, schamlos zu uns und unseren Gefühlen zu stehen. Und dann kommt der feine Herr Na Jaemin dahergelaufen und ist bereit, innerhalb von zehn Minuten alles zunichte zu machen. Renjun war der Einzige, der mir half, als es mir wegen dir schlecht ging. Ganz ehrlich Jae, ich weiß nicht, wie ich jemals in dich verliebt sein konnte."

Aua. Das hat gesessen. Auch wenn ich nie Interesse an ihm hatte, wofür ich ja auch nichts kann, kann ich nicht glauben, was für ein schlechter Freund sein muss, damit ein solcher Satz über seine Lippen kommt. Unser beider Augen füllen sich mit Tränen. "Ach jetzt heul doch nicht, Jaemin", krächzt er leise mit einer heiseren, beschlagenen Stimme, "du weißt doch genau, was du tust."

"Es tut mir leid Haechan. Ich habe doch selbst keine Ahnung, was in mich gefahren ist. Du hast recht, ich bin kein guter Freund. Nur weil ich mich heute damit abgefunden habe, dass das mit Jeno nichts wird, habe ich mich vollgetrunken und dich aus purer Frustration in eine ähnliche Lage gebracht. Es war falsch und ich weiß, dass ich es nie mehr gut machen kann."

Deprimiert lasse ich die Hand hinter meinem Rücken von der Klinke sinken und trete mit gesenktem Blick zur Seite. Warum sollte ich ihn aufhalten, was ich getan habe ist nicht zu verzeihen. "Du bist so feige!", giftet er und stürmt durch die Türe nach draußen.

Moment. Durch den Alkohol bin ich wohl doch etwas langsamer im Denken als nüchtern. Meinte er mit "Du bist so feige", dass ich nicht um mein Glück kämpfe oder gar, dass ich Jeno niemals angesprochen habe? Hoffentlich nicht letzteres, denn Haechan steuert geradewegs auf die Truppe zu.

Ich schlüpfe schnell in die erstbeste Jacke und verfolge ihn über die Treppe. "Hae, Hae!", hole ich keuchend auf, "Bitte sag' niemand das mit ihm, bitte." Er schuckt mich schluchzend von sich an die weiße Garage. "Nicht alles dreht sich um dich, Jaemin. Außerdem bin ich besser als du und nicht scharf darauf, anderen ihr Lebensglück zu vermiesen."

Mit diesen Worten stapft er in den großen Garten, der das gesamte Haus umgibt. Auch ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten, mir egal, ob Jenos Grüppchen gerade zusieht oder nicht. Ich habe meinen besten Freund verloren.

Ich höre Mark, wie er Haechan hinterherruft. Ich höre Jaehyun, wie er nach mir ruft, aber ich will jetzt einfach nur allein sein.

Schweratmend und mit tränenüberströmten Wangen beeile ich mich zu Yutas Auto. Die kalte, winterliche Nachtluft brennt scharf in meinen Lungen und verursacht Schmerzen, die meiner Situation nicht gerade positiv beiwirken. Der einzige Trost und Halt, an den ich mich klammere, ist das Metall des kleinen Schlüssels in meiner Jackentasche, dessen Rillen und Zacken sich unangenehm in meine feuchten Handflächen drücken.

Um den dabei ausgelösten Schmerz kümmere ich mich nicht, immerhin ist er der einzige, der mir nachweist, dass das alles gerade wirklich passiert und ich keinen ganz, ganz miesen Albtraum habe.

Am Wagen angekommen brauche ich eine Weile, bis meine zitternde Hand den Kofferrraum aufgeschlossen kriegt. Mich an meinen Seufzern und Schluchzern fast verschluckend, krabble ich zu den ganzen Sixpacks und spühle meinen Kummer mit der bitteren Flüßigkeit meine Kehle hinunter.

Wie konnte ich nur je denken, Renjun zu küssen wäre angemessen, wo ich doch zuvor noch behauptet habe, Jeno wäre alles, was ich zum Leben brauche?

How to tell I'm gay ~Nomin~Donde viven las historias. Descúbrelo ahora