⚠️ 25.12. Botschaft ⚠️

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"K-klaa-ar", lege ich den Hörer in die Gabel und kriege weiche Knie. Jaemins ältester Bruder Jaetang hat gerade bei uns angerufen und mir gesagt, dass ich dringend mit Jae reden sollte, warum auch immer?

Jedenfalls habe ich Panik, ziemlich viel Panik, weil sagen wir, Jaemin lässt mich nicht ganz kalt, falls das jetzt verständlich ist.

Ich horche von meinem etwas außerhalb liegenden Schlafzimmer ins untere Stockwerk. Alles scheint ruhig zu sein. Meine Eltern streiten, sie streiten oft und meistens wegen mir, auch wenn sie es nicht zugeben, aber ich bin ja nicht taub.

Alles hat vor einem halben Jahr angefangen. Weil viele unserer Freunde im Urlaub waren habe ich ab und an etwas mit meinem Nachbar seit Kindertagen unternommen. Wir hatten immer viel Spaß und gegen Tagesende war ich schon fast traurig, dass wir uns bis mindestens zum nächsten Tag nicht mehr sehen konnten.

Aber irgendwann waren die Ferien vorbei und wir sahen uns immer seltener. Da habe ich angefangen, ihn so richtig zu vermissen. Wenn also ich nicht zu Jaemin konnte, musste ich Jaemin eben zu mir holen. Ich hängte Fotos auf, kochte Dinge, die er gern aß und bestellte mir lilane Klamotten, viel lilane Klamotten, weil Lila ist nunmal seine Lieblingsfarbe.

Dummerweise hatte die Firma, in der mein Vater beschäftigt ist gerade einen Flop mit ihren Aktiengeschäften und das Geld war knapper als sonst. Meine Mutter wollte trotzdem nicht auf ihr Anti-Aging-Super-Lifting-Teint-Blushing oder was auch immer verzichten, dass sie alle zwei Monate machen lässt. Deswegen war er schon sauer, aber als dann noch Pakete voller Klamotten ankamen, hat das den Rahmen gesprengt.

Er meinte, dass ich den ganzen Plunder nicht brauchen würde und schrie mich an, ob ich eigentlich schwul wäre oder weshalb das alles lila wäre. Da hat es in meinem Kopf geklickt, ich musste an meine Jaemin Obsession denken und habe dann wahrheitsgemäß mit "Ja!" geantwortet.

Das gab dann einen riesigen Aufschrei, ein paar Tränen und Ohrfeigen. Seither streiten sich die beiden beinahe täglich. Mein Vater bangt um seine Enkelkinder, meine Mutter um den Ruf der Familie. Jetzt machen sie sich gegenseitig dafür verantwortlich, einen verkorksten Sohn in die Welt gesetzt zu haben und schieben es auf die Gene der anderen. Das ich Gefühle habe und mich als ungewollt wahrnehme, vergessen sie dabei.

Als ich in die Küche komme, räume ich die Scherben einer Glasflasche vom Boden weg und sauge mit dem Staubsauger letzte kleine Splitter auf. Die heile gebliebenen Gläser spüle ich sorgfältig ab und stelle sie zurück in den Geschirrschrank über der Arbeitstheke.

Überall auf dem Esstisch liegen ausgedrückte Zigaretten. Manche haben sich wieder in das Holz gebrannt. Spätestens morgen werden sie wieder denken, ich hätte heimlich geraucht und mich dafür verantwortlich machen. Der volle Aschenbecher und dessen Gestank nach abgestandenem Qualm ihrer Kippenkrümel ekeln mich an, weshalb ich direkt das ganze Ding nach draußen trage und es von der Terasse aus mit einem Fußkick in den verwachsenen Teil unseres sonst gepflegten Gartens befördere.

Bevor ich den Kühlschranks öffne, um nach frischem Saft zu suchen, schiebe ich die Stühle im Essbereich ordentlich zurück auf ihre normale Position.

Beinahe wäre ich gegen eine Stuhllehne gelehnt eingeschlafen. Ich bin müde. Natürlich hatte ich letzte Nacht wieder versucht, mich unter meine dunklen Bettdecke in eine andere, eine schönere Welt zu flüchten, aber auch davon haben mich die lauten Worte von unten abgehalten. Erst spät nach Mitternacht wurde es dann doch still, nachdem beide in ein anderes Zimmer geflüchtet waren. Hatten sie auch gerade eben gemacht, vor einer halben Stunde vielleicht.

Auch jetzt ist es wieder still. Ich seufze und trinke einen Schluck direkt aus dem Tetrapack. Mir doch egal, wenn da nun meine Bakterien drin rumschwimmen. Sollen die anderen doch davon krank werden und wochenlang flach liegen, vielleicht ist dann endlich mal Ruhe.

Bevor ich das Haus verlasse, um mein gefürchtetes Gespräch mit Jaemin zu führen, sprinte ich nochmal zurück in mein Zimmer. Direkt steuere ich meine Fotowand an und finde sofort, was ich suche. Ein Foto von unserer Familie, als noch alles im Lot war: Mein Vater, daneben meine herzlich lachende Mutter, auf Hüfthöhe einen vierjährigen Knirps seitwärts im Arm tragend.

Irgendwie habe ich den Verdacht, sie könnten das mit Jae rausgefunden und mit ihm geredet haben. Wahrscheinlich habe ich mit meinen bescheuerten Gefühlen unsere Freundschaft zerstört und er ist deswegen komplett am Heulen, weshalb seine Brüder alles für ihn regeln müssen.

Ich gebe meinen Eltern die Schuld für alles, obwohl meine Vermutung noch unbestätigt ist. Langsam zerteile ich das Foto zwischen mir und meiner glücklich aussehenden Eomma, der Riss spaltet sinnbildlich und buchstäblich unsere "Familie" in zwei Teile. Fast.

Kurz vorm unteren Rand stoppe ich in meiner Bewegung und nehme das beinahe zerstörte Bild mit ins Erdgeschoss. Dort platziere ich mein Werk fein säuberlich auf dem Esstisch, wo es jeder sehen kann, der auch nur an dem Raum vorbeikommt. Es wird Zeit das meine Eltern realisieren, dass ich auch noch da bin.

Fest entschlossen schnüre ich meine Turnschuhe, werfe eine dünne Jacke über und lasse dann die Haustür leise hinter mir ins Schloss fallen. Jetzt will ich meine Zeit erst mal der Person widmen, mit der ich sie am liebsten 24/7 verbringen würde: Jaemin, der Typ, der es irgendwie geschafft hat, mir komplett den Kopf zu verdrehen.

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Und damit herzlich willkommen zurück bei "How to tell I'm gay"

Korrektur kommt erst morgen, tut mir leid.

- "Nono"

How to tell I'm gay ~Nomin~Where stories live. Discover now