Kapitel 38

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"D-u hast geheiratet?" frage ich schockiert, während ich nacheinander fassungslos Emir, Elif und Kaan anschaue. "Und ihr habt mir nichts gesagt?"

Mein Herz zieht sich zusammen, dabei entferne ich mich mit kleinen Schritten von Emir und drücke seine Hand weg, die weiterhin meine Taille gestreichelt hatte. In mir macht sich eine große Enttäuschung breit. Wie konnten sie mir alle drei so etwas wichtiges verheimlichen?. Mein Bruder hat in der Zeit, wo ich gefoltert und missbraucht wurde, geheiratet. Ich konnte nicht mal auf seiner Hochzeit sein und meinen kleinen neugeborenen Neffen im Arm halten. Natürlich freut es mich, dass mein Bruder die große Liebe gefunden hat, aber es schmerzt zu tiefst, das erst jetzt erfahren zu müssen.

"Wer bist du, dass sie es dir sagen müssen?" keift mich sofort mein Bruder an. "Verschwinde sofort". Er zeigt mit seiner Hand auf die Tür und schreitet zur Seite, damit ich Platz zum gehen habe.

"Kerem sie wird nirgendwo hingehen" knurrt sofort Kaan und will dazwischen gehen, doch Kerem drückt ihn weg.

"Wenn du dich gegen mich stellst, wirst auch du für mich tot sein" droht Kerem ihn und schaut ihn mit seiner ernsten Miene an.

Kaan's Kinnlage klappt auf und er scheint nach den richtigen Worten zu suchen, doch dies braucht er nicht zu tun. Ich bin so sauer und enttäuscht von den dreien, dass ich selber nicht mal hier sein möchte. Emirs Blick landet auf mich, doch wie immer zeigt er keine Emotionen. Warum bin ich aber von ihm enttäuscht?. Wir haben keinen Draht zu aneinander und werden diesen auch nie haben.

"Keine Sorge, ich wollte eh gehen" meine Stimme bricht leicht ab, ehe ich auf die Tür zusteuere.

Mein Arm streift dabei Emirs Arm, weswegen ich sofort eine Gänsehaut bekomme. Ohne ihn ein Blick noch zu würdigen, ziehe ich meine Schuhe an und unterdrücke weitere Tränen, die meine Wange herunter fließen möchten.

"Dünya hör uns doch erst zu" bettelt Elif, doch ich hebe meine Hand, damit sie still ist.

Ich möchte alleine sein und nachdenken. Ich weiß zwar nicht, wohin ich gehen soll, aber ich werde schon eine Lösung finden. Schnell streife ich mir meine Jacke über und eile aus dem Haus. Nicht noch ein Mal drehe ich mich um.
Wie schnell kann sich ein Mensch um die 180 Grad verändern?. Mein Bruder ist wie ausgewechselt und ich erkenne ihn einfach nicht wieder. Was wenn ich von heut auf morgen nicht mehr da wäre?. Würde er überhaupt noch um mich trauern?. Würde er mir dann verzeihen, wenn ich unter der Erde liegen würde?.

Ich seufze laut auf und stecke meine Hände in meine Jackentasche, dabei fühle ich etwas metallisches. Langsam hole ich es raus und erblicke den Ersatzschlüssel unseren alten Hauses. Damals hatte ich nicht mehr Zeit, ihn zurück zu legen. Jetzt weiß ich, wo ich die Nacht verbleiben werde und mir ist es egal, ob die Nachbarn wieder Kerem anrufen. Dieses Erbstück ist von meinen Eltern und ein Teil davon gehört auch mir, egal ob es Kerem will oder nicht.

Ich begehe mich also Richtung unseres alten Hauses und komme nach 10 Minuten Fußweg an. Ich schließe die Tür auf und möchte grad das Licht anknipsen, doch nichts tut sich. Ich runzele die Stirn und hole mein Handy raus, um da die Taschenlampe anzumachen. Ich trete näher hinein und schließe die Tür hinter mir. Im Wohnzimmer versuche ich erneut das Licht anzumachen, doch da tut sich auch nichts. Hat Kerem den Strom hier abgeschaltet?. Das kann doch nicht wahr sein!. Ich würde am liebsten zum Stromkasten gehen, doch habe zu sehr Angst, da es im Keller ist. Ich mein wer hat den nicht abends Angst in den Keller zu gehen, vor allem wenn es dort stockdunkel ist?. Das Haus ist auch eisig kalt, sogar kälter als draußen. Wenn er den Strom ausgeschaltet hat, dann gehen die Heizungen bestimmt auch nicht, also muss ich heute Nacht erfrieren.
Am liebsten würde ich den Kamin anmachen, aber wir haben kein Holz hier zu Hause. Argh!.

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