Kapitel 1

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Wenn ich gewusst hätte, was mich erwartete, hätte ich nie einen Fuß in dieses Flugzeug gesetzt.

Dabei war es schon lange ein Traum von mir gewesen, einmal die USA zu besuchen, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Meine Freundin Sarah und ich hatten uns kaum wieder eingekriegt, als Frau Bühner uns während des Englisch-Leistungskurses mitteilte, dass unsere diesjährige Kursfahrt Ende der elften Klasse uns nach Amerika führen würden.

„USA, Marie, wir fliegen in die USA!", rief Sarah etwas zu laut, noch bevor Frau Bühner zu Ende gesprochen hatte.

Frau Bühner schaute sie über ihre Brillengläser hinweg an, aber ihr strenger Blick wurde durch die Lachfältchen in ihren Augenwinkeln zunichtegemacht. Die anderen Schüler lachten, aber sie waren ebenso aufgeregt wie Sarah und ich.


Und jetzt waren wir hier. Nicht in New York City, oder San Francisco, oder irgendeiner anderen dieser bekannten Städte. Nicht einmal am Grand Canyon oder bei den Niagara-Fällen. Nein — wir befanden uns auf dem ziemlich provinziellen Flughafen von Rapid City im Staat South Dakota.

South Dakota!

„Das liegt doch irgendwo im Nirgendwo", hatte ich zu Sarah gemurmelt, als Frau Bühner unser Reiseziel verkündet hatte.

„South Dakota", sagte Frau Bühner und schaute mich dabei mit hochgezogenen Brauen an, „liegt im Mittleren Westen. Aber die Gegend ist sehr beliebt bei Touristen. Es gibt dort Mount Rushmore — den berühmten Berg, in den die Präsidentenköpfe gemeißelt sind —, außerdem die malerischen Badlands. Und historisch hat South Dakota ebenfalls einiges zu bieten. Der Goldrausch in den Black Hills, die Indianerkriege ..."

Ich wechselte einen Blick mit Sarah. Natürlich! Frau Bühner war auch unsere Geschichtslehrerin und wir wussten schon jetzt, dass wir wohl einige Museen besuchen und uns von ihr endlose Vorträge über ihr Lieblingsthema anhören könnten: Amerikanische Geschichte. Aber dann zuckte ich mit den Achseln. Was soll's. Ich würde in die USA kommen, und ich freute mich schon darauf, meine Englischkenntnisse in ‚freier Wildbahn' anzuwenden.


Ich streckte meine Beine und holte meinen Handgepäck aus dem Fach über unseren Köpfen, froh, mich wieder bewegen zu können. Auf dem langen Flug von Düsseldorf hatten Sarah und ich uns einen Film nach dem anderen reingezogen, denn ich konnte im Flugzeug nicht schlafen. Nach einer endlosen Schlange bei der Einwanderungskontrolle in Minneapolis und dem Umstieg in diesen winzigen Propellerflieger war ich ziemlich erschöpft; dazu kam noch die Zeitverschiebung.

Beim Aussteigen spürte sofort die schwülwarme Hitze, die uns entgegenschlug, die ich aber nach den kühlschrankähnlichen Temperaturen im Flugzeug als sehr angenehm empfand. Es war Juli und die Luft auf dem Flughafengelände schien stillzustehen.

„Sobald wir im Hostel sind, muss ich raus aus diesen dicken Jeans", sagte Sarah und zupfte an ihrer Fleecejacke, die sie auf dem Flug getragen hatte.

Ich blickte mich um, auf der Suche nach einem Zeichen dafür, dass wir tatsächlich in den USA waren. „Also bisher sieht es aus wie jeder andere Flughafen in jedem anderen Land auch", bemerkte ich.

„Warum sollte ein Flughafen auch anders aussehen", gab Sarah zerstreut zurück.

Frau Bühner zählte ihre sechzehn Schüler durch und wir folgten dem Rest der Reisenden zum Eingang des ziemlich überschaubaren Flughafengebäudes. Drinnen fröstelte ich sofort wieder und war froh, dass ich meinen Pullover noch nicht ausgezogen hatte. Die Amis hatten wirklich eine Vorliebe für Klimaanlagen, wie es schien.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now