Kapitel 23

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Der Schneesturm dauerte noch die ganze Nacht an, aber zum Glück nicht über drei Tage, wie manche der schlimmsten Blizzards. Als ich aufwachte, suchte mein Körper ganz instinktiv nach Ohitikas Wärme hinter mir ... aber da war nichts. Er war bereits aufgestanden. Enttäuscht schüttelte ich die Decken von mir ab und sah mich um. Das Feuer brannte nicht mehr, aber ein schwacher Lichtschein fiel von draußen herein, sodass ich mich orientieren konnte.

Ich ging zum Ausgang und atmete scharf ein. Kalte Luft strömte in meine Lungen. Voller Bewunderung blickte ich auf eine blendend weiße Schneedecke vor mir, die in der Sonne glitzerte wie mit Milliarden von Diamanten übersät. Von der Höhle aus führten Spuren — eindeutig von Menschenfüßen — den Hang hinunter. Ohitika war also schon wieder unterwegs. Ich fröstelte, aber ich wandte mich noch nicht ab. Der Anblick war zu schön, zu märchenhaft. Die dunklen Fichten und Kiefern trugen weiße Kappen. Weiter unten sah ich ein Reh, das auf seinen langen Beinen durch die Schneeschicht stakste. Alles war so still, so ruhig, dass ich sogar von hier das Gluckern des Bachs hören konnte, an dem wir gelagert hatten. Und dann das Knirschen von stapfenden Füßen, als Ohitika den Hang wieder hinaufkletterte. Er trug einen erlegten Hasen mit sich, sowie einige Fische, die er auf einem Stock aufgespießt hatte.

„Wir nehmen eine gute Mahlzeit zu uns und dann brechen wir auf", sagte er zu mir, trotz des steilen Anstiegs kaum außer Atem.

„Die Pferde?", fragte ich.

„Stehen ein wenig flussabwärts in einer windgeschützten Senke. Sie haben es gut überstanden."

Nachdem wir die Beute ausgenommen und über einem kleinen Feuer gebraten hatten, aßen wir uns satt. Ich merkte, wie sich mein Körper mit jedem Bissen wieder mit Energie füllte, sodass mir die Kälte nicht mehr so sehr zu schaffen machte. Trotzdem fragte ich mich, wie wir durch die hohe Schneeschicht da draußen vorankommen würden. Wir würden für den Rückweg vermutlich länger brauchen als für den Hinweg.

Beim Abstieg den Hang hinunter krachten meine Füße bei jedem Schritt durch die dünne Eisdecke, die sich bereits auf der Oberfläche des Schnees gebildet hatte, weil die Sonne direkt darauf schien. Ich kam mir vor wie ein Elefant, der durchs Unterholz bricht, aber auch Ohitika konnte hier kaum leiser auftreten. So würde uns jeder aus einem Kilometer Entfernung kommen hören. Aber es war ja niemand hier, außer uns und den Tieren.

Die Mustangs blickten uns entgegen, als wir zu der Stelle kamen, an der sie sich zurückgezogen hatten. Die Uferböschung des Flusses stieg hier auf einer Seite hoch an und hatte so ein wenig Schutz vor dem Wind geboten. Der Bach zog sich wie ein glitzerndes silbernes Band durch den Schnee, der im Uferbereich schon weggetaut war. Ich streichelte Patches die Nase und klopfte ihr den Schnee von den Flanken. Ihr zotteliges, samtig weiches Winterfell hatte sie heute Nacht warm gehalten.

Wir stiegen nicht auf, sondern führten die Pferde an ihren Zügeln mit uns. Ohitika mit seinem Schecken ging voran und ich folgte mit Patches in der von ihnen gemachten Spur. Trotzdem war das Vorankommen schwierig und zeitraubend. Meine Beine wurden müde, weil ich sie bei jedem Schritt weit anheben musste, und obwohl mir insgesamt von der Anstrengung warm war, wurden meine Füße immer kälter — jetzt wünschte ich mir, die warmen Fellmokassins angezogen zu haben.

Doch die winterliche, stille Landschaft um uns herum entschädigte mich für die Mühe. Die Äste der Fichten bogen sich unter ihren dicken Hauben. Manchmal rieselte der Schnee in kleinen oder größeren Brocken herunter und der Ast schwang raschelnd nach oben, als wolle er seine Last abschütteln. Es taute rasch und ich schätzte, dass der ganze Schnee in wenigen Tagen verschwunden sein würde, wenn es nicht noch einmal kälter wurde.

Die Sonne stand hoch über den Wipfeln, als Ohitika stehen blieb. Er ließ die Zügel seines Mustangs los und streckte seinen Arm zur Seite aus, um mir zu bedeuten, dass ich mich still verhalten und warten sollte. Sein Gesichtsausdruck war ernst. Kurz darauf entdeckte ich, was ihn zum Anhalten gebracht hatte. Vor uns führte eine Spur durch den Schnee und kreuzte unseren Weg. Sie war viel breiter als dass ein Reh sie hinterlassen haben könnte. Meine Haut kribbelte. Ein Bär? Ich konnte von hier aus die Abdrücke nicht erkennen. Ohitika ging davor in die Hocke und untersuchte sie lange und sorgfältig. Dann stand er wieder auf und blickte hangaufwärts. Er hatte die Augen zusammengekniffen und das Gesicht leicht angehoben. Es sah aus, als würde er etwas wittern.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt