Kaptel 5

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Mein Magen grummelte vor Nervosität und Hunger. Das Pony unter mir kletterte zügig hangabwärts, hinter dem Indianer her. Es war wendig und geschickt, offenbar daran gewöhnt, sich in unebenem Gelände zu bewegen. Ich hingegen war es nicht gewohnt, ohne Sattel und Steigbügel zu reiten, und klammerte mich an seiner struppigen Mähne fest. Dabei beobachtete ich den lang ausschreitenden Mann vor mir. Sein nackter Rücken glänzte in der Sonne kupferfarben, als wäre er poliert. Mein Rucksack hing über seiner Schulter und hüpfte ebenso wie seine schwarzen Zöpfe bei jedem Schritt auf und ab, obwohl er so geschmeidig lief wie ein Raubtier. Ich schluckte, als ich mich wieder an den Ärger erinnerte, den seine schwarzen Augen ausgedrückt hatten.

Schon die ganze Zeit überlegte ich, was ich falsch gemacht haben könnte und was mir bevorstand. Ich konnte mir immer weniger erklären, wo ich hier gelandet war. An einen Scherz mit versteckter Kamera glaubte ich schon lange nicht mehr—nicht seit ich mir den Knöchel verletzt hatte. Irgendetwas musste in dieser Höhle mit mir passiert sein. Es war fast so, als wäre ich an einen anderen Ort ‚gebeamt' worden, aber das war doch unmöglich.

Fest stand nur eins: Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Und solange ich nicht genau wusste, was vor sich ging, musste ich mitspielen.

Der Schecke hob seinen Kopf und spitzte die Ohren. Aus meinen Gedanken gerissen blickte ich auf und sah, dass wir mittlerweile in einer Talsenke angekommen waren. Die Bäume wurden spärlicher und vor uns erstreckte sich welliges, grasbewachsenes Hügelland. Der junge Indianer folgte weiter dem Bachlauf, und jetzt hörte ich auch etwas.

Das Bellen von Hunden.

Nach der nächsten Flussbiegung kam ein kleines Wäldchen hinter einem Hügel in Sicht. Über den Wipfeln stiegen dünne Rauchfahnen in die Luft, der Wind wehte bereits den Geruch in meine Richtung. Als wir nur noch einige hundert Meter von den ersten Bäumen entfernt waren, schossen ein paar flinke Gestalten zwischen den Stämmen hervor und flitzten auf uns zu. Es waren kleine Jungs, bemerkte ich, nicht älter als mein Bruder Max. Sie alle hatten schwarze Haare, zu zwei Zöpfen geflochten wie mein Begleiter, und trugen nichts weiter als Lendenschurze an ihren sehnigen, schlanken Körpern. Einige hielten einen Bogen in der Hand. Um ihre Beine sprangen große, grauschwarze, struppige Hunde, die eher wie Wölfe wirkten. Ich schreckte zurück. Fremde Hunde machten mir Angst, besonders wenn sie so laut bellten.

Doch die Jungs scheuchten sie zurück in das Wäldchen, aus dem sie gekommen waren. Dann umzingelten sie uns regelrecht und nahmen uns in ihre Mitte, ohne mir jedoch zu nahe zu kommen. Ich spürte die neugierigen Blicke ihrer blitzenden schwarzen Augen, als hätten sie noch nie ein Mädchen gesehen. Einer von ihnen sagte etwas zu meinem Begleiter. Natürlich verstand ich kein Wort.

So umringt von einer Horde kleiner Jungen fühlte ich mich wie eine Verurteilte, die zum Schafott geführt wurde. Was erwartete mich wohl hinter diesen Bäumen, zwischen denen wir jetzt uns jetzt entlang schlängelten?

Meine Frage wurde kurz darauf beantwortet. Vor mir tat sich eine Lichtung auf, durch die auch der Bach floss. In seine Biegung schmiegte sich ein Dorf, wenn man es so nennen konnte: Eine Ansammlung von konischen Zelten mit Wänden aus beige-braunem Leder, einige bemalt mit geometrischen Formen und Tierfiguren — genau wie das Tipi, das ich im Museum gesehen hatte. War das wirklich erst gestern gewesen?

Zwischen den Zelten liefen weitere Menschen umher, Männer und Frauen jeden Alters; die Männer in Leggings oder Lendenschurz, nur sehr wenige ältere Männer trugen auch eine Art ledernes Hemd darüber; die Frauen mit einem etwa knielangen bestickten Lederkleid und weichen Hosen darunter. Ich seufzte. Langsam fühlte ich mich echt wie im falschen Film. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, ich wäre tatsächlich in die Dreharbeiten von irgendeinem Historienfilm hineingeraten. Aber es war weit und breit kein Kameraequipment und keine Crew zu sehen.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now