Kapitel 2

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„Haltet eure Notizblöcke bereit. Ich werde am Ende dieser Kursfahrt einen kleinen Test austeilen und das abfragen, was ich erzähle", sagte Frau Bühner. Einige Schüler stöhnten. „Schließlich sind wir hier, um zu lernen", erinnerte sie uns. „Also, wer kann mir sagen, wie diese vier Präsidenten heißen?"

Wir standen an einem der Aussichtspunkte in den Black Hills, von dem man eine unverstellte Sicht auf die vier in Stein gemeißelten Köpfe vor dem Hintergrund des blauen Himmels hatte. Von hier aus wirkten sie kleiner, als ich gedacht hätte, aber in Wirklichkeit mussten sie riesig sein. Ich fragte mich, wie die Bildhauer die Gesichter so realistisch erschaffen konnten, ohne bei der Arbeit je das ganze Kunstwerk im Blick zu haben. Um uns herum strömten Touristen aus aller Herren Länder an uns vorbei, die mit ihren Kameras und Handys ununterbrochen Bilder machten. Ich hätte nicht gedacht, dass diese vier Köpfe so viele Menschen anziehen würden. Schon der Parkplatz war riesig und kostete natürlich einen Haufen Eintritt.

„Präsident George Washington ist ganz links, dann Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln", betete Hannes herunter.

Ich kritzelte die Namen auf meinen Block. Irgendwie hatte ich sie alle schon mal gehört, aber ich konnte sie nicht genau einordnen.

Frau Bühner wies uns an, selbständig über den extra für die Touristen angelegten Aussichtspfad zu gehen und uns die aufgestellten Infotafeln durchzulesen.

Ich hielt mich auf dem schattigen Waldweg in der Nähe von Hannes, der mir alles besser erklären konnte als diese Tafeln.

„Ach, Lincoln war der, der die Sklaverei abgeschafft und dadurch einen Bürgerkrieg entfesselt hat, richtig?", rief ich, als ich mich plötzlich erinnerte.

Hannes nickte. „Allerdings ging es bei dem Bürgerkrieg eher um die Kontrolle der Nordstaaten über die Südstaaten, die sich abspalten wollten, und um wirtschaftliche Macht."

„Wie immer bei Kriegen ..."

„Genau."

„Wie kannst du dir das nur alles merken?"

Hannes lächelte schüchtern. „Ich interessiere mich einfach dafür, und ich lese viel. Historische Romane und so." Er wirkte beinahe verlegen.

„Cool", sagte ich. Plötzlich war es mir unangenehm, wie Hannes mich ansah, und ich schaute mich nach Sarah um.


Später wiederholte sich die gleiche Prozedur am Crazy Horse Memorial, das nur ein paar Minuten Busfahrt von den Präsidentenköpfen enfternt war. Hier hatte ein Künstler damit begonnen, ein Werk aus dem Fels zu hauen, das den berühmten indianischen Häuptling ‚Crazy Horse' auf seinem Pferd darstellen sollte. Leider war es noch nicht beendet und man sah nur das markante Profil eines Gesichts über dem Felsmassiv. Ich wusste durch meinen Bruder Max über Crazy Horse Bescheid, deshalb waren Frau Bühners Informationen für mich nichts Neues.

„Crazy Horse war, zusammen mit Sitting Bull, einer der letzten großen Häuptlinge der Sioux, der seinen Stamm im Kampf gegen die Weißen angeführt hat", erzählte sie, während wir in der unnachgiebigen Mittagssonne schwitzten.

„Er war maßgeblich an dem letzten indianischen Sieg in der Schlacht am Little Bighorn 1876 beteiligt, in der General Custers Armee vollständig zerschlagen wurde. Aber letztendlich musste auch er sich auch ergeben und mit seinem Stamm in ein Reservat ziehen. Er wurde später von den Weißen ermordet."

„Versteckst du dich vor irgendwem?", fragte Sarah, als wir das dem Denkmal angeschlossene Museum besichtigten. Ich stand hinter dem dort aufgestellten Tipi und tat so, als wäre ich vertieft in die Beschriftung eines Ausstellungskastens.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now