Kapitel 22

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Wir näherten uns dem Ausgang der Höhle. Bevor ich den ersten Lichtstrahl von draußen sehen konnte, hörte ich ein Tosen und Pfeifen, das noch lauter war als das Rauschen des unterirdischen Wasserfalls, den wir hinter uns gelassen hatten. Es war ein wildes Heulen, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Ich klammerte mich an Ohitikas Hand. Was war da draußen los?

Plötzlich fuhr mir ein eisiger Luftzug ins Gesicht, dass ich glaubte, der Atem würde mir in der Nase gefrieren. Die Temperatur im Inneren der Höhle lag bei konstanten 15 Grad, das wusste ich noch von unserer Führung. Aber jetzt schien es immer kälter zu werden, je näher wir dem Ende des Höhlengangs kamen. Ich konnte die spitz zulaufende Form der Felsspalte bereits erkennen — und dahinter nichts als ein einheitliches Grau-Weiß, ganz anders als das Tageslicht von heute Morgen.

„Ein Schneesturm." Ohitika musste die Stimme erheben, um das Tosen zu übertönen.

„Was?" Als wir die Höhle betreten hatten, war draußen noch blauer Himmel und Sonnenschein gewesen. Sicher, es war recht kalt gewesen, aber ich hätte nie für möglich gehalten, dass in den wenigen Stunden, die wir im Inneren der Höhle verbracht hatten, das Wetter so umschlagen könnte.

„Die Pferde!", fiel es mir ein.

Ohitika hielt mich zurück, als ich nach vorn stürmen wollte, auf den Ausgang und die dahinter wirbelnden Schneemassen zu. „Die Mustangs wissen, was sie tun müssen. Aber wir brauchen Schutz. Du bleibst hier. Ich werde unsere Decken und Vorräte holen. So ein Sturm kann Tage dauern. Hier bist du sicher. Mach ein Feuer, wenn du kannst." Er reichte mir sein Feuerzeug und das wenige Brennmaterial, das noch übrig war.

„Aber ..." Ich wollte nicht, dass er da rausging. Die ungeheure Stärke dieses Sturms erschreckte mich. So etwas hatte ich in Deutschland definitiv noch nie erlebt. Der Wind tobte und jaulte wie ein lebendes Wesen und das gräuliche Weiß schien so undurchdringlich wie eine Wand. „Findest du überhaupt den Weg?", fragte ich mit zitternder Stimme. Bereits jetzt ließ die Kälte meine Zähne klappern.

Ohitika drückte mir beruhigend die Schulter. „Ich komme bald wieder."

Er drehte sich um und ging auf den Ausgang zu. Kaum hatte er sich durch die Spalte geschoben und einen Schritt hinaus gemacht, da verlor ich ihn auch schon aus den Augen — verschluckt von den Schneeböen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Mach dir keine Sorgen, sagte ich mir. Er weiß, was er tut. Vertraue ihm.

Meine Finger schmerzten bereits von der Kälte und ich hauchte sie an. Ich sollte wirklich bald ein Feuer machen. Aber dafür brauchte ich Holz, und das gab es hier in der Höhle nicht. Ich erinnerte mich aber, dass ich rechts vom Eingang einen blattlosen Strauch gesehen hatte, der sich mit seinen Wurzeln in der Erde und im Gestein festklammerte. Wenn Ohitika sich in diesen Sturm hinauswagte, dann würde ich das wohl auch schaffen ... selbst wenn er mir aufgetragen hatte, drinnen zu bleiben.

Vorsichtig näherte ich mich dem Ausgang einige Meter vor mir. Die Kälte biss mir bei jedem Atemzug in die Lungen. Manchmal wirbelte der Sturm eine Schneewehe in den Höhlenarm. Dann tanzten die dicken Flocken einige Momente in der Luft, bevor sie in dichten Lagen zu Boden fielen. Ich trat durch die Schneeschicht und schob mich durch die Spalte. Kaum war mein ganzer Körper außerhalb der Höhle, erfasste mich der Sturm mit voller Wucht, warf mich zurück gegen die Felswand und presste mir die Luft aus der Lunge. Vor meinen Augen und in meinen Ohren rauschte und wirbelte es. Ich sah nichts außer der grau-weißen Masse, höchstens eine Armlänge weit. Sofort schien meine Körpertemperatur auf Gefriertemperatur abzusinken und meine Haut stach überall, wo sie mit der Luft in Berührung kam. Aber ich brauchte Holz!

Gegen den rasenden Sturm kämpfte ich mich auf die andere Seite der Felsspalte, ohne die Hände von der Felswand zu nehmen, aus Angst, dass ich sonst weggeweht und verloren gehen würde. Ich tastete unten nach dem Strauch, bis die trockenen Zweige in meine steifen Finger stachen. Ich riss unbeholfen an den Ästen, obwohl ich kaum noch Gefühl in den Händen hatte, bis einige von ihnen endlich nachgaben und brachen — es war höchstens eine Handvoll, aber ich musste wieder rein, sonst würde ich mich nicht mehr bewegen können und hier, kurz neben dem Eingang zur Höhle, erfrieren.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now