Kapitel 10

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Der Sommer neigte sich seinem Ende zu. Die Tage wurden kürzer und die Nächte kühler. Ich hatte noch nie so stark auf die Jahreszeiten geachtet wie hier. Aber nur so konnte ich verfolgen, wie viel Zeit seit meiner Ankunft ungefähr vergangen war. Die Wochen gingen ins Land und mit jedem verstreichenden Tag wurde meine Hoffnung, dass ich hier bald wieder wegkommen würde, etwas kleiner.

Wollte ich das überhaupt noch? Ich verdrängte diesen Gedanken und konzentrierte mich wieder auf meine Tätigkeit. Wihinapa und ich waren vor dem Tipi damit beschäftigt, Fleisch in Streifen zu schneiden, um in der Sonne zum Trocknen über eine Leine zu hängen. Es war das Fleisch eines Rehs, das Ohitika erlegt hatte. Ich hatte Wihinapa dabei helfen müssen, das Tier auszunehmen. Anfangs hatte es mich vor dieser Arbeit gegraut, aber inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt. Nur gut, dass ich früher keine Vegetarierin gewesen war. Dann hätte ich hier schlechte Karten gehabt.

Vom Dorfplatz her hörte ich das monotone, hypnotische Schlagen der Trommel des Medizinmannes. Die Männer tanzten Büffeltanz, denn bald würden die großen Herbstjagden beginnen, um den Vorrat für den Winter aufzustocken. Sie wechselten sich alle paar Stunden ab, dann übernahmen andere die schweren Büffelfellroben und setzten die Hörner auf, mit denen sie sich schwerfällig wie Büffel im Kreis bewegten.

„Was bedrückt Wakinyan?", fragte Wihinapa. Sie verwendete jetzt oft meinen Lakotanamen. Ich wusste inzwischen, was er bedeutete: Wakinyan-hihunji-win - Die mit dem Donner kommt. Er kam daher, dass in der Nacht, in der Ohtika mich gefunden hatte, ein schweres Gewitters gewütet hatte. Ein weißes Mädchen in seltsamer Bekleidung, das so plötzlich in ihren Jagdgründen auftauchte ... es musste so gewirkt haben, als hätte mich der Donner geradewegs ausgespuckt.

„Mir geht es gut", erwiderte ich leichthin.

Ich schaute auf Wihinapas stets fleißige Hände. In den letzten Wochen hatte ich mit der Sprache rasche Fortschritte erzielt und verstand das meiste, was gesagt wurde, wenn ich mich auch noch nicht immer so ausdrücken konnte, wie ich gern wollte.

„Wir ziehen bald fort?", fragte ich.

Sie lächelte mich strahlend an. Ihr Name, der „aufgehende Sonne" bedeutete, passte gut zu ihr. „Ja. Zu den Büffeln. Dann gibt es jeden Abend Festessen und Tänze und vielleicht treffen wir sogar ein paar Bekannte von anderen Stammesgruppen."

Ich bemühte mich um einen fröhlichen Ausdruck, der meine Besorgnis verbarg. „Werden wir hierher zurückkommen?"

„Das wird Häuptling Mazzukata entscheiden. Den Winter verbringen wir meist in geschützten Jagdgründen, hier in den Cheha Sapa oder weiter westlich im Gebiet des Chachli Wakpa."

Es gefiel mir nicht, von hier wegzuziehen, denn ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, vielleicht irgendwann zu der Höhle zurückzukehren. Was ich dort zu finden hoffte, wusste ich nicht genau. Aber irgendetwas hatte diese Höhle mit ihren Kristallen mit meiner Ankunft hier zu tun, da war ich sicher.

Ich seufzte und machte mich wieder daran, das zähe rohe Fleisch zu schneiden und die Streifen an Wihinapa zu reichen, die sie über eine zwischen zwei Stöcke gespannte Leine hängte. Nach einer Weile wurde ich auf einen jungen Mann aufmerksam, der zwischen den Zelten auf den Häuptling zulief. Der machte gerade eine Pause vom Büffeltanz und stand am Rand des Dorfplatzes, um die anderen Tänzer zu beobachten. Als der junge Krieger - ein Späher, glaubte ich - sich näherte, wandte er sich zu ihm um und forderte ihn auf zu sprechen. Ich beachtete sie nicht weiter. Es kamen oft Späher und berichteten dem Häuptling dies und jenes — von Wild, das sie beobachtet hatten, oder von Spuren feindlicher Stämme ...

Doch eine Viertelstunde später hatte sich die Neuigkeit bereits wie ein Präriefeuer im ganzen Dorf ausgebreitet. Als Wihinapa und ich sie von einer anderen Frau hörten, erfasste mich eine Welle der Aufregung. Ich richtete mich auf und hielt Ausschau nach dem angekündigten Gast, der unterwegs zum Dorf sein sollte, doch er war noch nicht zu sehen. Konnte es wirklich sein? Würde ich nach so vielen Wochen doch wieder einen Weißen zu Gesicht bekommen?

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now