Kapitel 24

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Mein Schädel fühlte sich an, als wollte er zerplatzen. An der Rückseite meines Kopfes pochte es wie ein Specht, der sich dort eingenistet hatte. Ich stöhnte und fühlte mit meiner Hand nach der Stelle, noch ohne die Augen zu öffnen. Eine riesige Beule erhob sich unter meinen Haaren. Was war geschehen? Wo war ich? Wieso war es so dunkel um mich herum?

Langsam nahmen meine Sinne wieder ihre Arbeit auf und durch den Schmerz hindurch hörte ich gedämpfte Stimmen, die zu mir herüber drifteten. Männerstimmen. Sie sprachen Englisch. Der Adrenalinstoß ließ mich vollends aufwachen. Ich riss die Augen auf und erkannte zwischen den Ästen der Nadelbäume über mir ein Stück des wolkenverhangenen Nachthimmels, in dem weder Sterne noch Mond leuchteten. Ein Feuer knisterte ganz in der Nähe, von dem aus auch die Stimmen kamen. Meine Hände ertasteten eine weiche Fellunterlage und den groben Stoff einer Wolldecke über mir. Trotzdem fröstelte ich und mir war übel.

„Hey, sie ist wach", rief einer der Männer.

Langsam wandte ich meinen dröhnenden Kopf in die Richtung. Schattenhafte Silhouetten saßen um ein Lagerfeuer herum, alle in Decken eingewickelt und mit ihren obligatorischen Hüten auf dem Kopf. Einer von ihnen erhob sich und kam zu mir herüber.

„Tut mir leid, das mit dem Schlag. War zu deinem eigenen Wohl", murmelte er und kratzte sich verlegen am Nacken. Ich erkannte Stuart, den Kerl mit dem dunklen Bart.

Zu meinem eigenen Wohl? Wenn ich mich nicht so jämmerlich gefühlt hätte, wäre ich in Gelächter ausgebrochen. Stattdessen hätte ich weinen können. „Was wollt ihr von mir?", krächzte ich. Mein Hals und meine Lippen waren trocken wie Sand.

„Nichts. Wir wollten dich nur in Sicherheit bringen."

In Sicherheit wovor, fragte ich mich. Mühsam richtete ich mich in eine sitzende Position auf und stützte meine Hände hinter mir ab. Die Wipfel der Bäume um uns herum wogten und rauschten.

Stuart hielt mir einen Becher aus Blech entgegen. Ich nahm ihn nur widerwillig an, aber der Durst war stärker als mein Ärger über die Entführung.

„Du hast bei den Indianer gelebt, oder?", fragte Stuart und setzte sich im Schneidersitz vor mich hin.

„Ja", sagte ich trotzig und nahm einen vorsichtigen Schluck von dem heißen Getränk. Beinahe hätte ich es wieder ausgespuckt. Kaffee — so bitter, dass es einem den Gaumen zusammenzog.

„Und du sprichst ihre Sprache?", fragte Stuart.

Ich nickte. Sollte das hier ein Verhör werden?

Jim trat ebenfalls zu mir und schaute auf mich herab. „Gut. Jemanden wie dich können wir gebrauchen. Du kannst ihnen erklären, dass wir keinen Ärger mit ihnen wollen."

Ich kniff die Augen zusammen. „Was wollt ihr dann?"

Sie zögerten ein wenig zu lange und ich vermutete, dass sie irgendetwas zu verbergen hatten. Ich erinnerte mich an das, was ich über die Geschichte dieser Region gelesen hatte. Es gab eigentlich nur einen Grund, warum sich eine Gruppe Weißer in die Black Hills ‚verirren' würde und dafür sprachen auch die vielen Gerätschaften, die neben ihrem Lager aufgeschichtet lagen. Ich konnte sie zwar im Dunkeln nicht genau identifizieren, aber sie sahen nicht aus wie Fallen für Wildtiere.

„Ihr sucht Gold." Ich formulierte es als Feststellung, um ihre Reaktionen zu testen.

Sie tauschten einen nicht sehr gut versteckten Blick aus, der mir genau sagte, was ich wissen wollte. Ich hatte ins Schwarze getroffen. Natürlich! Es war zwar noch einige Jahre hin, bis der Goldrausch in den Black Hills wirklich beginnen würde, aber es musste auch vorher schon Gerüchte gegeben haben. Vielleicht hatten sie auf dem Weg nach Montana im Norden von irgendjemandem davon gehört und beschlossen, hier als Erste ihr Glück zu versuchen.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt