Kapitel 18

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Häuptling Mazzukata hatte den gefangenen Crow-Krieger gefesselt in ein kleines, rasch dafür aufgebautes Tipi bringen lassen. Dort würde er bleiben und bewacht werden, bis die Ratsversammlung am Abend über ihn geurteilt hatte. Erst danach würde unser Lager weiterziehen. Tatanka Wakon hatte dem Crow etwas Essen gebracht, doch er hatte stolz abgelehnt und ihn nicht einmal an seine Wunde gelassen.

Ich war den ganzen Tag über sehr nachdenklich. Nachdem Ohitika einige Stunden geschlafen hatte und zum Bach gegangen war, brachte ich mit Wihinapa rasch das Zelt in Ordnung.

„Glaubst du, sie werden ihn einfach frei lassen?", fragte ich sie dabei.

„Ich hoffe, sie töten ihn", murmelte Wihinapa.

Ich blickte sie überrascht an, doch sie hielt ihre Augen gesenkt und ordnete mit raschen Bewegungen das Kochgeschirr, obwohl ich das bereits erledigt hatte.

„Er hat doch gar nichts getan", wandte ich ein.

„Er wollte Ohitikas Pferd stehlen. Und er hat Thokala-gleschka verwundet!"

„Aber er hat das Pferd nicht gestohlen und Thokala wird überleben. Ich dachte nicht, dass du dir wegen Thokala Sorgen machen würdest. Außerdem wurde er bei dem Kampf doch selbst verwundet."

Sie zuckte mit den Schultern, schaute mich aber noch immer nicht an. „Er ist ein Crow und er ist in unser Gebiet eingedrungen. Allein das gibt uns das Recht, ihn zu töten."

Ich schüttelte den Kopf, doch das Zittern in ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Statt weiter mit ihr zu diskutieren, hockte ich mich neben sie und legte meine Hand auf ihren Arm. Ihre Hände verharrten und endlich sah sie zu mir auf.

„Was hast du denn?", fragte ich sanft.

Ihre großen schwarzbraunen Augen schimmerten feucht. „Es waren Crow, die unsere Eltern ermordet haben."

Ich saß schockiert da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Wihinapa blinzelte heftig und wandte sich ab.

„Das wusste ich nicht", flüsterte ich.

Sie schüttelte den Kopf und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Wir haben es dir ja auch nie erzählt."

Ich wagte nicht, zu fragen, wie es passiert war. Das würde sicher nur noch mehr Schmerz hervorrufen. „Es tut mir leid. Aber", fügte ich leise hinzu, „dieser Crow war nicht dafür verantwortlich."

„Das tut nichts zur Sache." Ohitikas Stimme ließ uns beide zusammenzucken. Er war unbemerkt wieder eingetreten und sah weitaus frischer aus als heute Morgen. Dennoch lag ein Schatten über seinem schmalen Gesicht. „Die Ratsversammlung wird über ihn entscheiden."

Ich biss mir auf die Lippe und wusste, ich sollte es dabei belassen, doch das konnte ich nicht. „Er ist doch noch so jung."

„Er ist ein Krieger und damit für seine Taten voll verantwortlich."

„Aber es wurde kein großer Schaden angerichtet. Was würdet ihr verlieren, wenn ihr ihn einfach laufen lasst? Er probiert es sicher nicht noch einmal!"

„Was würden wir dadurch für ein Zeichen setzen? Dass die Lakota sich einfach bestehlen und in ihrem eigenen Territorium überfallen lassen? Alle anderen Stämme würden uns auslachen und unsere Schwäche ausnutzen wollen."

Ich konnte nur schwer ein genervtes Schnaufen unterdrücken. Aber dann dachte ich wieder daran, warum Ohitika die Crow hasste, und mein Herz erweichte ein wenig. „Gibt es denn keinen anderen Weg?", fragte ich fast flehentlich.

„Er ist ein Crow", sagte Ohitika, als würde das jede Diskussion beenden. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich erhob mich und stellte mich ihm gegenüber, die Arme ebenfalls verschränkt. „Und wenn du ihn allein deswegen hasst, dann bist du nicht besser als Thokala-gleschka, der alle Weißen in einen Topf wirft."

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now