Kapitel 3

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Ein ohrenbetäubendes Poltern. Das war das Erste, was ich wahrnahm, als ich wieder zu mir kam.

Ich riss die Augen auf. Um mich herum schien die Welt unterzugehen. Blitze zuckten am Himmel und Donnerschläge krachten direkt über meinem Kopf. Und es regnete! Es war, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet. Bereits jetzt war ich vollkommen durchnässt. Dabei hatte ich keine Ahnung, wie lange ich überhaupt schon hier war. Wo war überhaupt hier? Und was war mir passiert?

Ich fröstelte und versuchte mich zu orientieren. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war der Kristall in der Höhle. Und dieses Kribbeln, der Stromstoß der mich durchfahren hatte. Dann musste ich ohnmächtig geworden sein.

Aber wie war ich hierhergekommen? Und wo waren die anderen? Hatten sie mich nicht gesucht?

Ich roch den Duft von nassem Waldboden und spürte feuchte Erde unter meinen Fingern. Der nächste Blitz beleuchtete hohe, schlanke Baumstämme um mich herum, die auf einem Berghang hinaufkletterten. Ich musste mich also immer noch in den Schwarzen Bergen befinden.

Mühsam richtete ich mich auf meine Knie auf und bemerkte ein Gewicht  an meinem Rücken. Der Rucksack! Mir fiel ein, dass ich am Morgen ein Regencape eingepackt hatte, weil meine Wetter-App für heute Gewitter angekündigt hatte. Und dann fiel mir ein, dass mir mein Handy in der Höhle aus der Hand gefallen war. Auch das noch! Ich hoffte, dass es jemand gefunden und am Eingang abgegeben hatte.

Mit zittrigen Händen öffnete ich den Reißverschluss und suchte nach dem wachsartigen Material. Nachdem ich das Regencape über meinen Kopf gezogen hatte, atmete ich tief durch. Zumindest verschaffte es mir ein wenig Erleichterung von dem beinahe schmerzhaften Prasseln der Regentropfen.

Wieder krachte ein Donnerschlag direkt über mir. Ich schrie, doch gleich darauf erstickte der Schrei in meiner Kehle. Denn weiter oben am Hang hatte ich ein Geräusch gehört, das aus dem Gebüsch dort zu kommen schien. Zwischen dem Rauschen des Regens und dem Poltern des Donners war eindeutig ein Knacken zu vernehmen gewesen, als wäre jemand auf einen am Boden liegenden Zweig getreten. Mein Herz pochte schneller. Ein Suchtrupp? Holten sie mich hier raus?

Dann folgte ein tiefes, kehliges Brummen, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Ich starrte angestrengt in das Gebüsch, konnte aber in der Dunkelheit und bei dem strömenden Regen nichts erkennen. Aber das hatte nicht geklungen wie ein Mensch ...

Sofort stiegen Bilder von Bären und anderen großen Raubtieren vor meinem inneren Auge auf. Ich musste an „Das Mädchen" von Stephen King denken, das ich schon mehrmals gelesen hatte. Darin verirrte sich ein kleines Mädchen in einem der weitläufigen Wälder der USA und wurde von einem riesigen Monsterbären verfolgt.

Schluss mit dem Kopfkino! Heutzutage würde sich wohl kaum ein Bär in dieser Touristengegend blicken lassen. Trotzdem zitterte ich am ganzen Körper und war mir nicht sicher, ob es die Angst oder die Nachwirkungen des Stromschlags waren, den ich in der Höhle erhalten hatte.

Noch ein Brummen — eher ein Knurren, dann ein erneutes Knacken im Unterholz.

Ich versuchte, auf die Beine zu kommen. Sollte ich um Hilfe schreien? Oder würde ich damit das ... was auch immer es war ... auf mich aufmerksam machen?

Beim nächsten Blitz fuhr ich so heftig zusammen, als hätte er mich getroffen. In der Sekunde der Helligkeit sah ich den Umriss einer massigen Gestalt aus dem Gebüsch treten, das nur wenige Meter über mir am Hang lag. Die Gestalt hatte eindeutig einen großen pelzigen Kopf und eine furchterregende Schnauze gehabt. Und nun war es wieder dunkel und ich konnte sie nicht mehr sehen.

Voller Panik ergriff ich die Flucht. Den Rucksack auf dem Rücken rannte ich in Riesensätzen den Abhang hinunter. Dornensträucher kratzten meine nackten Beine, kleine Äste schlugen mir ins Gesicht, aber ich merkte es kaum. Mein eigener heftiger Atem machte mir Angst, weil das Keuchen beinahe so klang, als sei mir der Bär schon auf den Fersen. Aber ich nahm mir keine Zeit, mich umzudrehen. Wie gehetzt sprintete ich weiter, halb sprang, halb rutschte ich über den feuchten Nadelboden.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt