Kapitel 8

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Trotz der sommerlich warmen Nacht lief ein Schauer über meine Arme, als ich in das Gesicht des jungen Indianers starrte. Die Abscheu in seinen Augen ließ mich zurückzucken. Sein rechter Mundwinkel war etwas herabgezogen und sein rechtes Auge etwas schmaler als das andere, was ihm ein hinterhältiges Aussehen verlieh.

Ich versuchte, meinen Arm aus seinem Griff zu winden, doch er war viel zu stark und hielt mich nur noch fester, als er meinen Widerstand spürte.

„Lass mich los", rief ich und hoffte, das Schreien würde die anderen Dorfbewohner alarmieren.

Er stieß einen barschen Laut aus und schüttelte mich unsanft am Arm, sodass meine Zähne aufeinanderklapperten. Ich öffnete meinen Mund, um zu schreien, doch er drückte mir seine freie Hand fest auf Mund und Nase. Ich bekam keine Luft mehr. Wollte er mich umbringen?

Mein Geist ging in Panikmodus über. Ich erinnerte mich an eine Lektion in Selbstverteidigung, die wir im Sportunterricht bekommen hatten. Ich hatte damals gedacht, ich würde so etwas nie anwenden müssen ...

Ich holte Schwung und stampfte mit meiner Ferse mit voller Wucht auf seine in Mokassins steckenden Zehen. Schade, dass ich keine Absatzschuhe anhatte. Doch auch das wirkte. Er hatte wahrscheinlich nicht erwartet, dass ich mich zur Wehr setzen würde.

Die Hand auf meinem Mund lockerte sich, sodass ich wieder Luft bekam. Ich zog mein Knie hoch, um ihm in den Schritt zu schlagen. Doch er war schneller, als ich gedacht hätte. Kaum hatte er sich von seiner ersten Überraschung erholt, wich er meinem Knie aus, sodass ich nur seinen Oberschenkel traf. Zwar zuckten seine Mundwinkel etwas, aber in seinen Augen flackerte jetzt der Zorn auf.

Oh, oh.

Er stieß mich mit solchem Schwung rückwärts, dass ich taumelte und fiel. Mit einem unsanften Aufprall landete ich rücklings auf dem Boden. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und ich nahm für einen Moment alles nur noch verschwommen wahr. Als sich meine Sicht klärte, stand er breitbeinig über mir.

Ein Ruf erklang. Ich dachte erst, er hätte ihn ausgestoßen, aber er drehte den Kopf, sah sich suchend nach der neuen Stimme um.

Ich blickte zur Seite und mein Herz machte sich im Galopp davon. Dort stand Ohitika.

Er redete offenbar mit dem Typen, der mich gestoßen hatte. Ohitika schien vollkommen ruhig, während der andere zornig klingende Erwiderungen machte. Ich wusste nicht, was ich denken sollte, als Ohitika schließlich gemessenen Schrittes auf uns zukam. Der Angreifer entfernte sich ein Stück von mir. Er hatte eindeutig Angst vor Ohitika, auch wenn er es durch seinen hasserfüllten Ausdruck zu überspielen suchte. Als Ohitika nur noch eine Armlänge von ihm entfernt stand, fauchte er etwas und drehte sich dann auf der Hacke um. Im nächsten Moment war er im dunklen Unterholz verschwunden.

Ich blieb mit Ohitika allein zurück. Er kehrte mir den Rücken zu. Vor Angst und Anstrengung atmete ich noch immer schwer und wagte es nicht, mich aufzusetzen. Er hatte allen Grund, wütend auf mich zu sein. Immerhin war ich ausgerissen. Vielleicht hatte er das Recht, mich zu bestrafen, weil ich in seinem Zelt wohnte ... Wer kannte ich schon mit den Bräuchen dieses Volkes aus?

Ganz langsam drehte er sich zu mir um und schaute auf mich herab. Im Dunkeln konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, mich ausschimpfte, oder mir zumindest hochhalf. Doch er tat nichts dergleichen. Stattdessen ging er einfach an mir vorbei, in die entgegengesetzte Richtung des anderen Indianers, und würdigte mich keines Blickes mehr.

Würde er mich einfach hierlassen? Wollte er mich nicht mehr bei sich haben? Das war doch gut! Ich könnte einfach aufspringen und meine Flucht fortsetzen. Aber langsam wurde mir klar, dass es ziemlich dumm gewesen war, so Hals über Kopf aufzubrechen. Ich hatte doch keine Ahnung davon, wie man in der Wildnis zu überlebte.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteWhere stories live. Discover now