Epilog

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Draußen vor dem Tipi herrschte rege Aktivität. Das ganze Dorf war voller Vorfreude auf die bevorstehende Doppelhochzeit, nur ich hatte auf einmal Angst. War das wirklich richtig? War ich bereit dafür, eine Ehefrau zu sein — mit allen Rechten und Pflichten?

Meine Eltern wären schockiert, wenn sie wüssten, dass ich heiratete. Gerade ich, die immer felsenfest behauptet hatte, sich niemals auf so etwas einzulassen. Beinahe musste ich darüber kichern. Doch dann stiegen mir unvermutet die Tränen in die Augen. Wihinapa, die mir die Haare kämmte, hielt inne.

„Was hast du, meine Schwester?", fragte sie erschrocken.

Schwester ... jetzt würden wir wirklich bald Schwestern sein. Meine Tränen versiegten und ich schüttelte leicht den Kopf. „Nichts. Ich habe nur an ... meine Eltern gedacht."

„Oh." Wihinapa nickte. „Ich verstehe. Auch ich habe keinen Vater mehr, der mich meinem Bräutigam übergeben kann", sagte sie leise und fügte dann noch leiser hinzu: „Und keine Mutter, die mir verraten kann, was in der Hochzeitsnacht passiert." Ihre Wangen röteten sich.

Ich schluckte. Ich wusste natürlich, was dann passierte, und eine seltsame Mischung aus Angst und Sehnsucht packte mich. „Es ist nicht schlimm", sagte ich, um sie zu beruhigen. „Nicht, wenn ihr euch liebt."

„Oh nein. Ich weiß, dass es nicht schlimm ist." Sie strahlte wieder. „Ich habe die anderen Mädchen und jungen Frauen darüber tuscheln gehört."

Sie fuhr weiter mit dem Knochenkamm durch meine Haare. „Weißt du, unsere Eltern werden trotzdem heute bei uns sein. Ihre Geister sind nie weit entfernt und heute spüre ich ihre Gegenwart ganz besonders stark."

Obwohl ich früher nie an Geister oder Übernatürliches geglaubt hatte, hatte mich das Leben bei den Lakota, ihre spirituelle Sichtweise und die enge Bezogenheit zur Natur doch geprägt. Nicht zuletzt meine eigene verrückte Reise durch die Zeit ... Ich sah jetzt eher die Magie des Lebens um mich herum und deshalb nickte ich zu Wihinapas Worten.

„Du solltest sie heute offen lassen", sagte sie versonnen und ließ mein Haar durch ihre Finger gleiten. „Dann leuchten sie wie der Sonnenschein draußen."

Wir zogen beide unsere wunderschönen Festtagskleider an, die reich bestickten Gewänder aus weißem Hirschleder. Magaska steckte ihren Kopf ins Zelt herein. „Seid ihr soweit? Eure Männer stehen schon da und warten", lachte sie.

Eine Welle der Aufregung breitete sich von meinem Bauch aus und rieselte durch meinen ganzen Körper. Meine Hände zitterten und meine Knie fühlten sich irgendwie gummiartig an, als ich aufstand und hinter Wihinapa durch die Zeltöffnung ins Freie schlüpfte.

Draußen stand der Häuptling und lächelte uns wohlwollend an. Da wir beide keine Väter oder andere ältere männliche Verwandte im Dorf hatten, übernahm er heute die Rolle desjenigen, der uns zu unseren Bräutigamen führen würde. Wihinapa sprang auf den wunderschönen schwarzen Hengst, den Sihahanska Ohitika geschenkt hatte, um im Gegenzug seine Schwester heiraten zu dürfen. So war es Sitte. Ohitika hatte mir versichert, dass auch er zu gern seine drei besten Pferde für mich hergegeben hätte, wenn es jemanden gegeben hätte, dem er sie überreichen könnte. Ich lächelte bei dem Gedanken.

Da das nicht der Fall war, durfte ich mir aussuchen, auf welchem Pferd ich zum ‚Altar' geführt werden wollte. Ich hatte natürlich Patches gewählt. Sie richtete ihre Ohren auf, als ich aufsaß, und ich kraulte ihr mit zitternden Fingern den Hals.

Während der Häuptling gemessen neben uns herschritt und die Pferde führte, wollte ein Teil von mir abspringen und wegrennen. Aber als ich Ohitika dann auf dem Dorfplatz stehen sah, löste sich meine Angst in Luft auf. Das ganze Dorf war zusammengekommen, um der Hochzeit beizuwohnen, aber ich nahm kaum ein anderes Gesicht wahr, nur seines.

Ohitika trug ein Hemd und Leggings aus kostbarem Elchleder. Die Mokassins hatte ich für ihn bestickt, dank Wihinapas geduldiger Anleitung. Sein Haar fiel offen über seinen Rücken wie eine schwarze, seidige Decke. Er lächelte mir entgegen, wirkte aber auch angespannt.

Wihinapa und ich stiegen ab und der Häuptling führte erst Wihinapa zu Sihahanska, dann mich zu Ohitika. So standen wir uns gegenüber, umgeben von all den anderen Männern, Frauen und Kindern.

Tatanka Wakon trat nach vorn und stellte sich vor uns. In seinem runzligen Gesicht blitzten die scharfen Augen auf, die so viel Weisheit ausstrahlten. Er legte Ohitika und mir eine große, rot gefärbte Büffellederdecke um die Schultern, die wir jeweils an den Enden festhielten, sodass sie uns ganz einhüllte. Dann nahm er die lange Friedenspfeife entgegen und zündete sie an. Er hob sie hoch in die Luft und wieder zur Erde und deutete damit in alle vier Himmelsrichtungen. Der weiße Rauch kringelte sich in geisterhaften Schwaden, die kurz darauf verpufften. Er überreichte Ohitika die Friedenspfeife, der sie mit seiner freien Hand ergriff. Ich legte meine Hand ebenfalls auf den langen Holzschaft, dicht neben Ohitikas, so wie es mir vorher gesagt worden war. Dann band Tatanka Wakon unsere Handgelenke mit einem schmalen roten Lederstreifen zusammen und hob in einer Singsang-Stimme zu dem uralten Gebet an:

„Von den vier Ecken der Welt, vom Himmel über uns und von der Erde unter uns, möge der Segen des Großen Geistes immer mit euch sein. Und möge der Große Geist euch ein kleines Leben schenken, denn erst wenn ihr dieses Geschenk erhaltet, wird diese Zeremonie vollendet sein. Ihr baut ein Nest für euch und ich bete zum Großen Geist, dass er euch helfe. Und jetzt rauchen wir gemeinsam die Pfeife. So sei es. He-hechetu."

Bei Einbruch der Dunkelheit waren wir endlich in unserem Zelt — allein. Ohitika hatte mich unter dem Lachen und Kichern der älteren Frauen an der Hand mit sich gezogen. Ich war müde von dem vielen guten Essen und dem großen Tanz um das Lagerfeuer. Doch jetzt begann mein Herz aufgeregt zu pochen und jagte Ströme von Adrenalin durch meine Adern, was mich wieder aufweckte. Wir waren allein. Nicht zum ersten Mal, aber doch zum ersten Mal als ... Mann und Frau. Gott, wie das klang!

Ohitika fachte das Feuer an und stand dann beinahe verlegen vor mir. „Bist du müde?", fragte er mit rauer Stimme.

Ich schüttelte den Kopf, unfähig zu sprechen. Da trat er einen Schritt auf mich zu, sodass uns nur noch wenige Zentimeter trennten. Die Luft zwischen uns schien zu knistern und mein Herz machte einen Hüpfer. Er neigte seinen Kopf zu mir herunter und flüsterte: „Techihila ksto" — Ich liebe dich.

Ich konnte nichts erwidern, weil er im nächsten Moment seine Lippen auf meine presste und mich näher an sich zog. Seine Hände fuhren durch meine Haare, dann über meinen Rücken. Ich umschlang seinen Hals und merkte, wie er mich langsam zu Boden senkte. Dann lag er über mir und hielt inne. „Wir tun nur, wozu du bereit bist", sagte er, wobei sein Körper eine andere Sprache sprach.

Hitzewellen überrollten mich und statt einer Antwort zog ich ihn wieder zu mir herunter. Ich hielt mich an seinen Armen fest, spürte, wie die Muskeln und Sehnen darunter spielten. Unser Atem vermischte sich und unsere Atemzüge gingen im gleichen Rhythmus. Ich wusste, was gleich passieren würde, und ich ließ es zu, ließ zu, dass er mich zu seiner Frau machte. Denn in dem Moment wusste ich, dass ich nichts anderes sein wollte.

ENDE

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Ich möchte die Geschichte an dieser Stelle beenden. Das heißt nicht, dass ich sie nicht vielleicht irgendwann wieder aufgreife, aber momentan brauche ich auch mal eine Pause :). Es hat mir auf jeden Fall viel Spaß gemacht und ich bin erstaunt, was dabei rausgekommen ist, denn ich hatte am Anfang überhaupt keinen Plan. :)

Vielen, vielen Dank, dass ihr so lange mitgelesen und kommentiert habt. Das hat mir geholfen, immer weiterzumachen.

Vielleicht schreibe ich bald eine andere Geschichte und wenn ihr wollt, sehen wir uns dort wieder.

Plötzlich Indianer - Eine ZeitreisegeschichteDonde viven las historias. Descúbrelo ahora