Schmerz im Herz und Bonbon im Mund

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Was wäre ich nur ohne Jenna? Während meine Beste sofort angeboten hat, sich um Flug und Hotel zu kümmern, mache ich mich mit flauem Gefühl im Magen auf den Weg ins Fräulein Klütje. Der kleine Blumenladen liegt im Herzen des Dörfchens und das Kopfsteinpflaster vor dem Eingang ist ganz rundgetreten.

Hier findet man neben den schönsten und frischesten Blumen auf der Insel immer etwas mehr: Einen netten Plausch, ein paar aufmunternde Worte, ein leckeres Sahnebonbon und in jedem Fall ein Lächeln.
Es ist schon fünf Minuten vor Ladenschluss, als ich die Eingangstür öffne. Die Messingglocke über der Tür bimmelt und verkündet, dass jemand die heile Welt betritt, die, verlässlich wie immer, nach Rosen, Nelken und Veilchen duftet. Jedes Mal, wenn ich hereintrete, lächle ich. Doch heute gelingt mir nur eine klägliche Grimasse.

Frau Klesen, wie die Inhaberin richtig heißt, reckt den Kopf mit den feuerroten Haaren und den runden Wangen aus einem dicken Strauß pinker Nelken hervor, die sie gerade in die Kühlkammer bringen will.

„Felicitas! So eine Überraschung! Hast du was vergessen?"

Mit den Nelken in der Hand umrundet sie eine der pastellfarbenen Vasen, die in allen Formen und Größen überall im Raum verteilt stehen, um mich zu begrüßen. Ihr Lächeln ist noch breiter als sonst. Doch keine Sekunde später kräuselt sich ihr Mund in Zeitlupe zusammen, während sie mich eingehend mustert.

„Ist etwas passiert?" Sie neigt den Kopf und ihre grünen Augen werden rund und zwei Nuancen dunkler.

„Wo drückt der Schuh?" Bei mir angekommen, breitet sie die Arme aus und ich überlege, entweder aus dem Laden raus, oder noch lieber, direkt in ihre Umarmung hineinzurennen. Beides würde es noch peinlicher machen.

Hilflos zucke ich mit den Schultern, doch meine Lippen beginnen zu zittern. Dabei hatte ich noch nicht Mal Luft geholt.

„Kann ich ..." Meine Brust bebt und ich muss mich zusammenreißen, um weiter sprechen zu können. „Kann ich..." Oje. Jetzt stehe ich hier und stammel.
„Na, nun komm erstmal rein." Frau Klesen legt den Arm um meine Schulter und führt mich hinter die kleine Verkaufstheke, auf der neben der Kasse die dicke Bonboniere mit Süßigkeiten steht. Sie fischt ein Sahnebonbon heraus und drückt es mir in die Hand.

„Hier. Das hilft. Fast immer." Sie zwinkert mir zu und zieht zwei Hocker heran.

Ich wickel brav das Bonbon aus der durchsichtigen Folie. Es knistert vertraut und der Geruch nach Erdbeere steigt mir in die Nase. Schnell schiebe ich es in den Mund und nehme auf einem der Hocker Platz.

Frau Klesen schmunzelt. „Bonbons sind wie Blumen für die Seele. Sie sind bunt, duften und sehen hübsch aus und das Beste ist: sie machen glücklich." Sie zwinkert und um ihre Augen bilden sich kleine Falten.

Der sahnige Erdbeergeschmack beruhigt die Nerven und ich senke zustimmend den Kopf.

Erst jetzt bemerke ich, dass meine Chefin das dicke Auftragsbuch auf dem Schoß liegen hat. Kann sie hellsehen?

„Du benötigst Hilfe?", fragt sie und blättert.

„Ja. Ähm." Das Bonbon klebt am Gaumen und ich drücke mit der Zunge dagegen, um es zu lösen, bevor ich zögernd fortfahre: „Kann ich bitte meinen Urlaub vorverlegen?"

Frau Klesen sieht mich an und ich spüre die getrockneten Tränenspuren auf meinen Wangen überdeutlich. Meine Haut spannt und wenn ich Pech habe, klebt noch etwas Rotz an meiner Nase. Doch Frau Klesen sagt nichts und schaut zurück ins Buch.

In der eintretenden Stille ist mein Lutschen viel zu laut. Schnell schlucke ich den sahnigsüßen Saft hinunter und bemühe mich, das Bonbon still auf meiner Zunge liegen zu lassen. Ich will nicht stören und mich auf das klebrige Ding zu konzentrieren, ist besser, als an andere Sachen zu denken. Daran, dass es eine blöde Idee war, hierherzukommen zum Beispiel, oder noch schlimmer; an David und unseren geplanten Urlaub in vierzehn Tagen.

Ich schlucke gegen die aufsteigenden Tränen an und verschlucke dabei um ein Haar das Bonbon, das ein Stück zu weit hinten auf meiner Zunge lag.

Ich schiebe es nach vorn gegen meine Schneidezähne und versuche verkrampft, nichts anderes wahrzunehmen, als die klebrige Kugel in meinem Mund.

„Du scheinst etwas Entspannung dringend nötig zu haben. Aber wolltet ihr nicht in die Berge fahren, du und David?" Frau Klesen reißt mich mit ihrer Frage aus meinen Bonbon-Bemühungen.

„Naja, also ... da hat sich was geändert." Ich drücke das Bonbon innen gegen die Wange und schaue hinab auf meine immer noch klatschnassen Sneaker.

Frau Klesen folgt meinem Blick und schlägt die Hände über dem dicken Buch zusammen. „Kind, du wirst dir den Tod holen!"

„Ach, das spür ich kaum", versichere ich schnell und das war nicht mal gelogen.

„Es ist das Herz stimmt's?" Überrascht sehe ich zu meiner Chefin auf und nicke langsam. Ich habe nichts erzählt und doch versteht sie es.

Die Tränen stauen sich wieder in meinen Augen und Frau Klesen verschwimmt zu einem rosa Klecks. Am liebsten hätte ich mich selbst dafür geohrfeigt, hier heulend vor ihr zu sitzen. Peinlicher geht's ja nicht. Ich muss aussehen, wie eine Erstklässerin, der man auf dem Pausenhof den Lolli geklaut hat.

Mit einem dumpfen Schlag klappt sie das dicke Buch zu. „Im September haben wir eine Hochzeit, eine Taufe und fünf runde Geburtstage. Alles freudige Anlässe, die entsprechenden Blumenschmuck brauchen. Also geh und komm fröhlich wieder! Mit Traurigkeit im Herzen kannst du nur Trauergestecke binden. Und die sind erst im November gefragt."

Ihr Lächeln ist softer als jedes Sahnebonbon und ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen, so dankbar bin ich.

„Danke!" Mit dem Ärmel wische ich verräterische Tropfen aus den Augen.

„Kein Problem. Und hier." Sie reicht mir eine Sonnenblume aus einer der Vasen, die zum Wegräumen schon auf dem Tresen stehen. „Damit die Sonne bald wieder scheint und du dein Glück findest."

Mit einem zaghaften Lächeln nehme ich die Blume entgegen.

Bevor ich gehe, helfe ich Frau Klesen noch, die restlichen Blumen in die Kühlkammer zu bringen und den Laden auszufegen. Dabei merke ich, wie gut es tut, meiner vertrauten Arbeit nachzugehen. Ob es richtig ist, mit Jenna abzuhauen?

„Es sind nur ein paar Tage", versichere ich dem Besen, mit dem ich routiniert die Reste von abgeschnittenen Stielen und Blättern zusammenkehre. „Nur ein paar Tage Ablenkung."

Vor der Tür verabschiede ich mich von meiner Chefin und mache mich auf den Weg nach Hause, um den Rest des Abends damit zu verbringen, meinen Koffer zu packen und meinen Eltern aus dem Weg zu gehen.


Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWhere stories live. Discover now