Gäste des Dogen

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Als Jenna mit einer kleinen Papiertüte in der Hand neben mich tritt, beiße ich mir auf die Lippe, um mir ein: ‚Bist du völlig übergeschnappt soviel Geld für ein bisschen Pappmaché auszugeben?', zu verkneifen. Denn erstens würde ich damit nur volles Rohr meiner Mutter nacheifern und zweitens; selbst bei allem Befremden über Jennas Verhältnis zu Geld; eines muss ich zugeben: „Sie ist wunderschön", sage ich laut und bilde mir ein, die Goldverzierungen durch das Papier hindurchschimmern zu sehen.

Jenna hält ihre Beute hoch und grinst, als hielte sie einen Lottoschein mit sechs Richtigen und Zusatzzahl in den Händen. Doch dann schieben sich ihre Augenbrauen über ihrer Nasenwurzel zusammen und sie brummt in Richtung Laden: „Aber freundlich war die nicht gerade. Hat man sowas schon erlebt? Nur weil sie ein Kleid von Moschino trägt, denkt sie, sie wäre etwas Besseres." Und mit einem besiegelnden „Pfft!", wirft sie eine ihrer gefärbten Strähnen über ihre Schulter und hakt sich bei mir unter. „Auf geht's Süße! Wir haben jetzt ein Date mit dem Dogen!"

Als Antwort stoße ich ihr leicht den Ellenbogen in die Rippen, trotzdem denke ich sofort an blaue Augen und es kribbelt in meinem Bauch.


Die Sonne steht hoch über St. Markus, als wir die Piazzetta erreichen.

Die vier Kuppeln blenden wie Hauben aus frisch gefallenem Schnee. Mit kühler Eleganz krönen sie die goldenen Mosaike, die in runden Bögen die Fassade und Portale der prächtigen Kirche schmücken. Nur in der Höhe werden sie von dem freistehenden Glockenturm überragt, der den ganzen Platz dominiert und mit seinen roten Steinen wie ein Schornstein in einer Winterlandschaft aufragt.

Während wir über das spiegelglatte Kopfsteinpflaster schlendern, gleitet mein Blick zu den Säulen und Fenstern der Prokuratien, die den Platz zu beiden Seiten säumen, ähnlich der Banden einer Eisfläche. Doch statt Eisläufern tummeln sich gurrende und balzende Tauben auf der Piazzetta.

Ein kühler Wind bläst aus der Lagune und lässt Salzkristalle auf meinen Lippen zurück.

Ich breite die Arme aus und drehe eine Runde um mich selbst. So viel Licht, so viel Weiß, so viel Meer und ... so viele Tauben.
Für diesen Moment lasse ich alles auf mich wirken und berausche mich daran.

„Heb dir deine Pirouetten für heute Abend auf. Wer weiß, wen du zum Ball damit beeindrucken kannst." Jenna kichert, guckt aber trotzdem, als wären ihr meine Drehungen peinlich. Dabei flattern eh nur Tauben um uns rum.

Und Löwen. Geflügelte Löwen.

Überall an den Portalen, Rundbögen, Erkern und Säulen prangt das Wappentier der Stadt und verfolgt mit seinem Raubtierblick jede unserer Bewegungen. Ich liebe Details und dieses ist mir in dem Strudel aus Weiß, Gold und Taubengrau nicht entgangen.

„Ich muss niemanden beeindrucken." Außer Einen. Den Zusatz behalte ich für mich, da ich Jennas Auffassung, was die Liebe betrifft bestens kenne. ‚Wahre Liebe findest du überall, solange du dich selbst liebst und dich nicht von anderen abhängig machst.' Das ist ihr Leitsatz und wenn sie wüsste, dass mir mein Herz mit jedem Schlag kundtut, dass es David verzeiht, was auch immer er getan hat, würde sie mich für völlig verblödet erklären. Hauptsache wir kommen wieder zusammen.

„Das kann man nie wissen!" Jenna hat genug von meinen Pirouetten und schiebt mich weiter Richtung Dogenpalast.

Und da ist er. Unmittelbar am Meer gebaut, im Obergeschoss geschlossen und kompakt, thront er auf zahllosen, zerbrechlich wirkenden Arkaden und Säulen, die oben zwar in verzierte Rundbögen übergehen, denen unten aber die Sockel fehlen; so als wäre der Palast aus dem Pflaster des Markusplatzes emporgestiegen, wie Venedig aus der Lagune.

Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich sehe, wie kurz die Schlange am Ticketschalter ist und als wir uns dann auch gleich einer Führung anschließen können, kommt es mir tatsächlich so vor, als hätten Jenna und ich heute im Lotto gewonnen.

Die Museumsangestellte, um die sich die überschaubare zehnköpfige Gruppe sammelt, ist nur wenig älter als Jenna und ich. In ihrem braunen Kostüm mit dem steifen Bleistiftrock und ihren zum Dutt zusammengezwirbelten Haaren im gleichen Farbton erweckt sie jedoch den Anschein einer alten Jungfer und gleichzeitig mein Mitleid. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer von Mode habe, erkenne selbst ich, dass diese Arbeitskleidung sogar vor hundert Jahren schon altmodisch war.

Bevor sie beginnt, uns im Inneren herumzuführen, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf zwei rote Säulen in der Arkadenreihe im Obergeschoss des Palastes: „Wenn dort früher ein Mitglied der Stadtverwaltung stand, so hieß das für die Passanten auf dem Markusplatz, dass ein Todesurteil verkündet werden sollte." Alle recken ihre Köpfe zu den roten Säulen empor und auf einmal sehe ich in dem großen Glockenturm gegenüber einen riesigen warnenden Zeigefinger.

Das mulmige Gefühl lässt sich nicht ganz abschütteln, als wir die goldene Treppe zu den Ratssälen emporsteigen. Ein kalter Luftzug bildet unsere Eskorte und pustet gegen die kleinen Härchen in meinem Nacken. Es fröstelt mich, während ich das Kinn recke, um die mit goldenem Stuck, Fresken und Skulpturen verzierte Decke zu bestaunen. „Diese Treppe war nur für die wichtigsten Gäste des Dogen zugänglich", höre ich die Stimme der Duttdame, die bereits oben steht und auf uns herabsieht. „Also genau richtig für uns", kichert Jenna in meinem Rücken.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWhere stories live. Discover now