Road Closed

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Die Treppe knarzt und ächzt, als wir kurz darauf nach unten gehen. Der Teppich auf den Stufen und im Foyer schluckt das Klackern unserer Absätze genauso wie das gedimmte Licht aus den Kronleuchtern und Messingkerzenhaltern. Es ist gespenstisch still und die Gänge mit den Zimmern, als auch die Lobby sind menschenleer. Plötzlich kann ich es kaum erwarten, das Hotel zu verlassen.

Auf dem Campo davor ist die Nacht zu Hause. Kalt und dunkel erstreckt sie sich über den ganzen Platz. An vereinzelten Lichtern, erkenne ich, wo Häuser stehen, doch auch deren Licht traut sich nicht bis nach draußen. Dafür ist der Nachthimmel über uns mit Sternen übersät, die viel heller und größer sind, als ich es über einer Großstadt wie Venedig vermutet hätte.

Obwohl es auf den Straßen und in den Gassen stockfinster ist, sind die Schilder nicht zu übersehen. Es sind mehr geworden. Und das Weiß leuchtet uns schon von weitem entgegen.

Road closed. Fetter geht es nicht. Mein Nacken kribbelt unangenehm und meine Schuhe drücken schon jetzt. „Jenna. Wir sollten umkehren!" Ich zeige auf das Schild vor meiner Nase. „Wenn die Italiener das extra auf Englisch schreiben, dann wollen sie auch, dass sich Touristen dran halten."

„Ach papperlapapp, das ist nur wegen der Regatta und außerdem geht es hier lang!"

Sie zeigt den Zaun entlang. Während wir der Absperrung  folgen, wächst mein Unbehagen mit jedem Schritt. Es ist, als addiere sich die Furcht bei jedem Schild, das uns in der Dunkelheit entgegenstrahlt und ich hoffe, das Ergebnis ist nicht, dass ich den Verstand verliere.

„Sicher, dass wir hier richtig sind?" Ich hege die widersinnige Hoffnung, dass Jenna auf ihrem iPhone plötzlich erkennt, dass wir umkehren müssen. Zurück ins Hotel.

„Absolut. Es ist nicht mehr weit." Sie hatte die Adresse in ihr Smartphone eingegeben und starrt unbeirrt auf die blaue Linie. Mich wundert, dass sie noch nirgends dagegen gerannt ist.

Vor einem Road closed Schild bleibt sie schließlich stehen.

„Zeit umzukehren!", rufe ich und drehe eine Pirouette, dass das seidene Gold unter meiner Jacke in der Dunkelheit raschelt.

„Nein! Es ist direkt dahinter. Nur noch ein Stück die Gasse entlang."

Ich spähe in die Dunkelheit hinter dem Zaun. Hier scheint das Herz der Nacht zu schlagen und wir stehen mittendrin. Sogar die Sterne über unseren Köpfen sind verschwunden.

Das Einzige, das ich deutlich erkenne, ist das weiße Schild. Road closed. Ich schlucke. Das Schwappen von Wasser dringt an meine Ohren, es klingt, als käme es aus allen Richtungen auf uns zu.

„Tja, aber hier ist gesperrt, also lass uns umkehren!" Hätte ich keine Angst, mich zu verlaufen, wäre ich alleine losmarschiert. Aber ich hatte weder Handy noch Orientierung und bestimmt keine Lust, aus Versehen in irgendeinem stinkenden Kanal zu landen.

„Um was zu machen? Im Hotel fernzusehen? Feli, das ist die Gelegenheit, mal was zu erleben! Was Aufregendes!" Sie greift meine Hände und auch wenn ich es nicht sehe, merke ich, dass sie mich eindringlich mustert. „Feli, du siehst so unglaublich schön aus! Mit David hast du das nie gezeigt! Zeig endlich, was in dir steckt! Du bist mehr als nur Davids Freundin."

„Ex-Freundin", ergänze ich und stiere in das Schwarz vor meinen Füßen. Da. Schon wieder. Bei Jenna hört sich alles so leicht an. Unsicher hebe ich den Kopf. Im Dunkeln kann ich Jennas Augen nur irgendwo dort vermuten, wo das Gold ihrer Maske aufblitzt, dennoch versuche ich, ihrem Blick standzuhalten. „Du meinst ... ich kann das?"

Jenna lacht leise. „Klar! Nur du kannst es! Also los!" Und im nächsten Moment höre ich, wie Metall über Stein gezogen wird.

„Schlüpf durch!"

Auf ihren Befehl hin, strecke ich die Finger aus und taste nach dem Spalt zwischen den Bauzäunen. Hoffentlich bleibe ich nirgends hängen. Dann würde ich als zerrissene Vogelscheuche beim Ball erscheinen.

„Jenna, du bist unmöglich!", murmel ich und meine eigentlich mich selbst.

„Nein, ich bin die Rettung." Und in der Dunkelheit höre ich, wie sie die Lücke wieder schließt.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWhere stories live. Discover now