Von Löwen und Lämmern

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Der Schreck sitzt tief, als ich mit dem Hauch von Roségold in der übergroßen Tüte die kleine Boutique verlasse.

666 €. In Worten: Sechshundertsechsundsechzig - für eine Handvoll Stoff. Ich frag mich ehrlich, wer hier den größten Schaden an der Waffel hat: Die Verkäuferin, der Designer, Jenna oder ich. Und schüttel bestimmt schon zum zwanzigsten Mal den Kopf.

Mein Fehler war es gewesen, überhaupt so eine Boutique zu betreten. Da konnte ja nur eines dabei herauskommen: eine Blamage bis auf die Knochen.

Ich dachte echt, ich kippe um, als die Verkäuferin an der Kasse den horrenden Preis verlangte. Doch Jenna war sofort in ihrem Element: Sie widersprach energisch und in einwandfreiem Italienisch und deutete immer wieder wild gestikulierend auf das Preisschild. Wie eine waschechte Italienerin. Ich war stolz auf sie, auch wenn sie auf dem Holzweg war.

Die hübsche Verkäuferin tat mir fast leid. Sie machte ein Gesicht, als hätte sie zwischen ihren zusammengebissenen Backenzähnen eine dicke Zitronenscheibe klemmen. Sie kämpfte verbissen, doch Jenna wischte eiskalt alle Einwände fort.

Noch jetzt schrillen ihre Stimmen in meinen Ohren; wie die eine zeterte, dass das Kleid ein Designerstück von Mazzanti sei und es die niemals für unter 500 € gäbe und die andere erwiderte, dass sei ihr scheißegal, ausgepreist sei ausgepreist.

Selbst als die Frau den Artikel in der Kasse eingab, leuchteten grüne Ziffern auf schwarzem Grund: 66. Und Jenna sah sich bestätigt.

Während ich nur mit hochrotem Kopf danebenstand, drohte sie, die Carabinieri oder die Guardia di Finanza einzuschalten, was der Zitronentussi den Rest gab. Fassungslos schob sie den Haufen Roségold in die viel zu große Tüte und nahm die 70 Euro mit spitzen Fingern entgegen, die ich ihr blitzschnell hinhielt, bevor sie es sich anders überlegte. Und dann wollte ich nur noch eins: So schnell es geht, raus aus dieser Boutique.

Erneut schüttel ich den Kopf, denn schon zum zweiten Mal an diesem Tag, komme ich mir vor, wie eine Verbrecherin. Jennas Einsatz in allen Ehren: Ein Preisschild ist kein verbindliches Angebot und der Verkäufer kann es zurücknehmen; zumindest in Deutschland.

Da ich trotz allem ein gewaltiges Schnäppchen geschlagen habe, lade ich Jenna zum Eis ein. Und mit zwei Portionen, die uns fast aus der Waffel stürzen, schlendern wir zurück ins Hotel.

Der Geschmack von Erdbeer ist fruchtig und sahnig zu gleich; ein bisschen wie die Sahnebonbons aus dem Klütje, dennoch ist mir nicht wohl. Bei jedem Schritt zieht es im Nacken. Immer wieder sehe ich mich um. Lange Schatten erobern langsam aber sicher die Straßen und Gassen hinter uns. Der Himmel glüht im Orange der untergehenden Sonne, während die Nacht in den dunklen Kanälen lauert. Den ganzen Tag schon hatte ich den Eindruck, dass für eine Stadt wie Venedig viel zu wenige Menschen unterwegs sind, doch jetzt ist außer uns niemand mehr zu sehen.

Und dennoch werde ich beobachtet. Mein Nacken zieht nicht nur, er kribbelt auch.

„Alles klar?" Jenna war stehen geblieben und sieht sich nach mir um. Obwohl ihr Eisturm doppelt so hoch war wie meiner, hat sie ihn schon fast verputzt.
Wenn ich Eis zu schnell esse, bekomme ich Kopfweh.

Nein.
Ich lächel schief. „Klar."


Nachdem ich ausgiebig geduscht hatte – ich hatte mir Jennas Zitronenschampoo geliehen und mir die Haare gewaschen, hat Jenna sich mit meinen Strähnen und dem Lockenstab gründlich ausgetobt.

Jetzt hatte ich bei jedem Schritt das Gefühl durch einen Limettenhain zu laufen. Und goldene Locken kringelten sich bis zu den Schultern und vorn dort wieder zurück.

„Du siehst aus wie ein Löwenbaby", Jenna schmunzelt zufrieden. „Unbeholfen?", hake ich nach und schiele mit flauem Gefühl auf das flüssige Roségold und die Maske auf dem Bett. Denn exakt so fühle ich mich, bei dem Gedanken, gleich in diesem Designerfummel auf einen Ball zu gehen.
„Quatsch, niedlich und wild zugleich." Jenna ist so routiniert, dass ich meinen könnte, sie geht jeden Tag auf festliche Veranstaltungen, zu denen sie nicht eingeladen ist.


Ein letztes Mal trete ich vor den großen Spiegel. Das Kleid ist wahrhaft ein Meisterwerk und es passt vortrefflich nach Venedig. Es ist bezaubernd und gleichzeitig ... schamlos.

Wie die edlen Palazzi, mit ihren prächtigen Vorderseiten, an denen der Stuck emporragt und im Schein der Sonne strahlt, während sich darunter das Kanalwasser ins Mauerwerk frisst und den Putz bröckeln lässt.

Doch - es sorgt auf unheimliche Weise dafür, dass mein ganzer Körper golden strahlt. Die Maske verleiht mir zugleich etwas Geheimnisvolles und hilft dabei, die Scham zu überwinden.

„Feli! Du siehst aus wie eine Prinzessin!" Der Neid in Jennas Stimme klingt unverhohlen mit, auch wenn sie vorhin erst verkündet hatte, dass sie sowas nie tragen könne, da die Farbe nicht zu ihren rosa Haarspitzen passe.

Sie trägt ein weißes Kleid, durch das man beinah hindurchsehen kann. Es ist sexy und frech – wie Jenna.

Sie legt mir den Arm um die Schulter. „Wie zwei Prinzessinnen."

Ihr Lächeln strahlt mir im Spiegel entgegen und sie hat Recht: Wir sehen hübsch aus. So hübsch wie zwei Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank.

Meine Handflächen jucken und ich habe das Gefühl, einen riesigen Fehler zu begehen.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigOnde as histórias ganham vida. Descobre agora