Prolog: Die Maske des Schicksals

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Nie hätte sie geglaubt, dass Schreie nach Hilfe so laut sein - und doch nicht gehört werden können.

Ihre Absätze knallten auf das Pflaster, ihr gepresster Atem keuchte hoch und laut wie eine kaputte Luftpumpe und das Echo ihres letzten Schreis war schon vor Minuten in den leeren Gassen verhallt.

Ihre Kraft lies nach. Sie entwich in unregelmäßigen Stößen, in enger Liaison mit ihrem rasselnden Atem.

Sie stolperte, fiel nieder und schlug sich beide Knie auf den unebenen Steinen auf. Ohne das Blut abzuwischen, rappelte sie sich hoch und rannte weiter. Es war nicht das Erste, das sie verlor und die Jagd war in vollem Gang. Ihr Blick jagte hin und her; doch alles, was ihr durch die Schwärze der Nacht aus den verwinkelten Straßen und Kanälen entgegen waberte, war kühle, dunstige Luft; ein eisigkalter Hauch des Schicksals.

Ihres Schicksals. Sie schmeckte noch immer seinen Kuss auf den Lippen.

Um ihrer Taille und Schulterpartie - da wo er sie beim Tanz berührt hatte, war die Wärme verschwunden, doch ihre Muskeln verzerrten sich noch immer in heißer Sehnsucht nach ihm und dem Versprechen von Ewigkeit, das er mit jeder seiner Berührungen gab.

Sie hatte es gespürt. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Das Gefühl wahrer Liebe.

Es war ihr vertraut, durch ihre Familie und Freunde. Aber das hier war klarer, intensiver, verlockender. Es war magisch.

Sein Blick verfolgte sie mit jedem Schritt. Er hatte sich in sie gebrannt und rief nach ihr, mit jedem Meter, den sie sich vom Palazzo del Silenzio entfernte wurde sein Ruf fordernder, drängender.

Unmöglich nicht nachzugeben. Sie schaffte es nicht. in ihrem Kopf hämmerte ein Schmerz, der sie beinah um den Verstand brachte.

Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Und sie war nicht stark genug, um dagegen anzukämpfen.

Aber an Bestimmung glaubte sie nicht eine Sekunde. Es war die Maske.

Diese gottverfluchte Maske!

Die sich viel zu zart und angenehm um ihre Wangenknochen schmiegte; die ihre Gesichtszüge kleidete, wie eine zweite Haut und deren aufblühende Rose im Zusammenspiel mit ihren blonden Haaren eine Farbharmonie erschuf, die nicht von dieser Welt war.

Er war nicht von dieser Welt.

Und sie hätte es nie für möglich gehalten, dass es so etwas gab; Wesen wie ihn.

Doch es gab sie, viele von Ihnen. Und er war ihr Fürst.

Sie hörte die klappernden Hufe hinter sich und wusste, dass es vorbei war.

Ihr Schicksal hatte sie eingeholt. Sie war die Maske nicht losgeworden.

Ihre Knie knallten auf das Pflaster, das Blut lief aus den Rissen ihrer Haut in Rinnsalen, tropfte in die Pflasterritzen, um dort zu versickern. Ihr Atem wurde leiser, während sie sich dem Schicksal ergab und auf ihn wartete.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt