Wahre Liebe

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„Die Eröffnung wovon?" Herausfordernd sehe ich ihn an. Da ohnehin der ganze Saal glotzt, gebe ich es auf, mich zu verstecken.

Er spricht nicht von Musik, so viel ist klar. Und das ist auch kein normaler Ball, denn dann wären nicht nur Männer, sondern auch Frauen anwesend.

„Also, die Eröffnung von was?" Die Frage bestärkt meine eigenen Gedanken, trotzdem stelle ich sie erneut, da Lucian die Antwort schuldig ist.

Zähe Sekunden verstreichen, in denen er nichts erwidert.

Ich vermeide es, in das Blau hinter seiner Maske zu sehen und doch spüre ich seinen Blick auf meinen Wangen.

Lauernd. Hungrig. Und ... voller Sehnsucht.

„La caccia." Gehaucht wie ein Versprechen; gegeben, um eingelöst zu werden.

Hä? Ist das die Antwort? Aber das ist doch sein Name?

„Du magst Gedichte?" Sein plötzlicher Themenwechsel bringt mich total aus dem Konzept, doch meine Antwort kommt schnell, direkt aus meinem Herz geschossen.

„Ja, sogar sehr."

Auf seinen Lippen liegt ein Lächeln, das meine Seele zergeht.

„Gut, denn ich habe eins für dich:
Ich bin ein Jäger der Nacht,
die Dunkelheit das Gewand – für mich gemacht,
die Insel der Seelen ist mein Reich,
und hole ich dich -  dann bist du meins!"

Ich verstehe nur Bahnhof. Doch bevor ich mir weiter den Kopf zerbrechen oder nachfragen kann, bläst ein Windstoß durch den Saal, der alle fünf Türen auf einmal ins Schloss fallen lässt. Das Knallen schlägt auf meine Trommelfelle und lässt die Knochen zittern, nicht nur die Kleinen im Ohr.

Ich spüre Lucians  fragenden Blick, doch ich habe keine Antworten für ihn; mein Mund ist ausgetrocknet und mein Kopf wie leergefegt.

Zeit, Jenna zu suchen! Da sie Modelmaße hat und außer mir der einzige Blondschopf im Saal ist, entdecke ich sie schnell. Selbst sie hat das Knallen erschrocken. Ihre pink geschminkten Lippen sind zusammengepresst und ihre Augen mit den sorgfältig getuschten Wimpern aufgerissen. Sie rückt ab von einem Typ mit edlem Sakko und rauchgrauer Maske, der so scheint es, bis eben noch die Hand an ihrer Hüfte hatte. Mensch, Jenna!

Sie findet nicht einen Antonio, sondern hunderte, wenn sie es darauf anlegt.

Doch bevor ich mich in Bewegung setzen kann, legt sich eine behandschuhte Hand auf meine Schulter. Der grüne Saphir blitzt mir warnend entgegen.

„Deine Freundin macht es richtig. Trinke! Küsse! Nutze die Gelegenheit! Weißt du, was morgen ist? Die Zeit ist flüchtig!" Lucian. Er säuselt die Worte an mein Ohr, als würde er schon wieder etwas zitieren. Es klingt wie aus einem Gedicht, doch ich kenne es nicht.

Ich schüttel seine Hand ab und fahre zu ihm herum.

Die blauen Saphire, Aquamarine und Turmaline in seiner Maske strahlen mit seinen Augen schelmisch um die Wette. Und bevor ich mich versehe, hält er erneut meine Hand in seiner und schließt die Lücke zwischen uns.

„Es gibt Dinge, die hälst du nie für möglich, Felicitas." Ausnahmsweise glaube ich ihm. Wie er mit seinem weißen Sakko vor mir steht, sieht er aus, wie ein Bräutigam, der mich zum Altar führt. Ein vielsagendes Lächeln umspielt seinen Mund. Mit Mühe reiße ich meine Gedanken am Riemen, um zu verhindern, dass sie in eine unanständige Richtung davon galoppieren. Dennoch dringt Hitze durch das Leder seiner Handschuhe hindurch in meine Finger und strömt von dort in Lichtgeschwindigkeit hinauf zu meinen Wangen.

„Es ist warm hier drinnen. Findest du nicht?" Ein kläglicher Versuch meine wachsende Verlegenheit zu überspielen. Mein Kreislauf schwächelt genauso wie mein Gehirn, wenn Lucian in der Nähe ist. In dem Versuch, meinen unregelmäßigen Herzschlag zu beruhigen, lege ich die freie Hand auf den Ausschnitt meines Kleides. Ein weiterer Fehler, denn sein Blick verfolgt die Bewegung und ruht jetzt genau dort, wo meine Haut am hellsten ist.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWhere stories live. Discover now