Black-Friday

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Unser Bummel durch die Stadt gleicht einer Partie verrücktes Labyrinth. Die Straßen und Gassen, durch die Jenna mich lotst, sind so verwinkelt, wie die Gänge im bekannten Kinderspiel, nur dass uns hier statt Mauern, Kanäle den Weg versperren, die gerade breit genug sind, dass ich das Grinsen in den schlanken Gesichtern der Straßenkatzen am anderen Ufer zu erkennen glaube; herüberspringen, aber trotzdem unmöglich ist.

Dort, wo kein Kanal ist, steht einer dieser überflüssigen Bauzäune und versperrt den Durchgang.

Road Closed. Na toll!

Keine Ahnung, wie oft ich das in den letzten fünf Minuten schon lesen musste, die Chancen stehen gut, dass ich die Nacht davon träumen werde.

„Verdammter Mist!" Jenna fächert sich mit dem Stadtplan Luft zu, zu mehr ist er nicht zu gebrauchen – Straßensperrungen sind ja nicht eingezeichnet.

„Und das nur wegen dieser Regatta?" Ungläubig starre ich auf den Zaun, hinter dem die Gasse unbeirrt weiterverläuft. „Die Boote fahren doch nicht auf der Straße!" Weiter hinten leuchten an einer Ecke rotweiße Markisen mit der Aufschrift gelato. Ich seufze tief. „Ich wette wir hätten da lang gemusst!" Mein Zeigefinger deutet genau auf den kleinen Eisladen und auf der Zunge schmecke ich das sahnige Cioccolato, das mir entgeht.

„Jep! Hätten wir!" Jennas lackierte Nägel krallen sich ins Zaungitter, ihre nach vorn geschobene Unterlippe verrät mir, dass sie genauso enttäuscht ist wie ich. Doch dann schnippt sie mit den Fingern, als hätte sie die Lösung für unsere Misere. „Aber keine Sorge - ich lotse uns hier durch – vertrau mir!" Mit dem zerknickten Stadtplan in der Hand, dreht sie eine Pirouette um die eigene Achse, dann zeigt sie auf eine schmale Gasse, die nach rechts abgeht. „Da lang!"

Der Weg ist so eng, dass wir hintereinanderlaufen. Jenna vorneweg. Ihr weißer Rock leuchtet wie eine Kaktusblüte in der Wüste zwischen den Ockertönen der Häuser. Weiter oben, wo das Sonnenlicht auf die Fassaden trifft, ist deren Farbe satt und hell; hier unten matt und schmutzig. Ich würde alle meine Klütje Bonbons verwetten, dass wir hier schon durchgekommen sind – die knallbunte Spitzenunterwäsche, die über unseren Köpfen an der zwischen Balkons gespannten Leine baumelt, kommt mir bekannt vor, trotzdem halte ich meinen Mund.

Immer wieder biegen wir um Häuserecken, an denen schwarzer Schimmel prangt, wie in anderen Städten farbige Graffitis.

Die Luft ist kühl und salzig und von den Kräutertöpfen auf den Fensterbänken weht mir der Duft von Thymian und Rosmarin entgegen. Ab und an erhasche ich durch eine Seitengasse einen Blick auf einen der prachtvollen Palazzi oder auf eine Kirche. Und immer wieder schimmert leuchtendes Blau am Ende eines Weges. Und da wird mir erst richtig bewusst: Venedig liegt auf dem Meer – und wir sind mittendrin.

Statt den Motoren von Autos, Motorrädern oder Bussen, dringt das stetige Schwappen von Wasser gegen Stein und das mehrstimmige Gurren von Tauben auf den Ziegeldächern an meine Ohren. Es scheint, als hätte die Stadt ein Geheimnis, dass sie bereit ist, zu erzählen, wenn man ihr zuhört.

Ich lausche und atme die salzige Luft, die an manchen Stellen nach Zitrone duftet, an einigen eine faulige Unternote hat,  als Jenna plötzlich an meine Schulter fast und quiekt: „Feli, wir haben ihn gefunden!" Und schon saust sie los, als hätte ihr Lieblingsschuhgeschäft Black-Friday-Sale.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWhere stories live. Discover now