Andate via

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Obwohl vor der Glastür die Sonne scheint, herrscht in der Hotellobby trübes Zwielicht. Ein Messingkronleuchter baumelt einsam von der hohen Decke und seine Lampen, die Kerzen ähneln, könnten in einem kleineren Raum für eine warme Atmosphäre sorgen; hier bleibt es beim Versuch. Ihr Licht traut sich nicht bis zum Boden hinab, wo der dunkelviolette Teppich lauert – bereit, jedes Photon zu schlucken, das sich in seine Nähe verirrt.

Während Jenna dicht an der Glastür den Stadtplan studiert, trete ich an die Rezeption, um den Zimmerschlüssel abzugeben. Die Warnung vor Taschendieben ist im Reiseführer rot markiert, daher halte ich es für besser, auf Nummer sicher zu gehen. Selbst wenn uns die Taschen geklaut werden, kämen wir so wenigstens zurück ins Hotel.

Der kleine, ältere Herr mit den Knopfaugen lächelt freundlich, als er den goldenen Schlüssel mit dem klobigen Anhänger entgegennimmt. Das Teil wiegt bestimmt zwei Kilo und ich frage mich ernsthaft, ob schonmal jemand mit so einem Ding erschlagen worden ist. Ein Räuspern, das klingt, als hätte ein Dackel Husten, lässt mich aufsehen. Der Rezeptionist umklammert den Schlüsselanhänger fest in der Faust, seine Augen springen hektisch durch die Lobby und mit einer Bewegung als wolle er die Maserung des Teakholzes genauer unter die Lupe nehmen, lehnt er sich tief über den Tresen. Doch sein Blick untersucht nicht das Edelholz, sondern mustert mich eingehend. Seine grünverwaschenen Augen blicken warnend in meine, als er heiser flüstert:

„Signorina, per favore andate via!"

Ich blinzel und nicke viel zu oft, als würde die Bewegung helfen, die Italienischbrocken in meinem Hirn zu etwas Nützlichem zusammenzuschütteln. Doch das einzige Ergebnis, das ich erhalte, sind ziehende Nackenmuskeln.

Irgendjemand muss die Glastür geöffnet haben, denn ein Windstoß pustet die kleinen Härchen in meinem Nacken zu ihrer ganzen Größe auf. Ich starre weiter den Rezeptionisten an, der sich abwendet, als wäre nichts geschehen und in einer Seelenruhe unseren Schlüssel ans Brett hängt, die mich an meinem Verstand zweifeln lässt.

Eilig haste ich zu Jenna und ziehe sie nach draußen in die Sonne.

Meine Beste schaut erst auf, als ich sie loslasse. „Bis zum Dogenpalast ist es ganz schön weit", brabbelt sie los, ohne von meinem Aufruhr Notiz zu nehmen. „Auf dem Weg ist ein Maskenladen, der sogar Masken für Hollywood Filme hergestellt hat! Da gehen wir als Erstes hin!"

Ich merke, wie mein Puls sinkt und nicke mechanisch, obwohl ich nur die Hälfte verstanden habe. Was erzählt sie jetzt von Hollywood? Egal – Hauptsache weg!


Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt