Das Gastmahl im Hause des Levi

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Das Gastmahl im Hause des Levi ist ein riesiges Gemälde der italienischen Renaissance. Das Meisterwerk von Veronese zeigt die prächtig chaotische Szene einer biblischen Mahlzeit mit Betrunkenen, Narren und anderen Feiernden. Da der ursprüngliche Titel Abendmahl lautete, was als respektlos gegenüber dem heiligen Abendmahl galt, wurde die Szene zensiert und Veronese musste es umbenennen.

Dieses Bild hier ist ebenfalls opulent, würde aber einer Zensur noch weniger entgehen, als das Original. Die Darstellung der Gäste ist extrem sexualisiert, überall blitzen nackte Busen oder Hinterteile und die Figuren schmücken glühende Gesichter und entrückte Blicke, doch das nehme ich alles nur am Rand war, denn mein Blick ruht auf der Person in der Mitte. Sie trägt einen schwarzen Anzug, wie aus Jennas Modemagazinen und eine Maske. Es ist Lucian. Er ist das Zentrum und fällt doch aus dem Ölbildnis heraus, das ansonsten so aussieht, wie das des großen Meisters aus dem sechzehnten Jahrhundert.

„Gefällt es dir?" Lucian tritt neben mich und betrachtet das Bild. „Wusstest du, dass Veronese auf dem unzensierten Original auch Deutsche abgebildet hatte?" Sein Kichern klingt so tief wie das Schnurren eines Katers. „Passend oder? Denn das, ma felice, wirst du alles erleben." Sein Tonfall ist eine Mischung aus Versprechen und Drohung und als er mich durch seine Maske ansieht und ich den Glanz in seinen Augen sehe, muss ich beinah würgen.

„Nein! Mit dir will ich gar nichts erleben!" Ich wirbel herum und renne auf die große Eingangstür zu, doch schon beim ersten Schritt schwingen die Türblätter mit einem lauten Knall zusammen.

„Tu rimani qui! Per sempre! Das ist dein Schicksal!" Seine Stimme durchfährt die Eingangshalle wie ein Blitzeinschlag mit heftigem Donner.

„Nein!" Mit einem verzweifelten Aufschrei rüttel ich so heftig an der Tür, dass es mich selbst dabei durchschüttelt vom Scheitel bis zur Ferse. Einzig die gewaltigen Türblätter bewegen sich keinen Deut.

„Risparmia le forze – du wirst sie noch brauchen!" Sein höhnisches Lachen ergießt sich über mich wie ein kalter Regenschauer und ich sacke zusammen. Ich rühre mich nicht, bis Lucian mich hochzieht.

„Vieni! Ich zeige dir jetzt dein Zimmer."

Mit zitternden Beinen folge ich ihm die breite, geschwungene Treppe hinauf, während ich ihm in Gedanken alle Schimpfwörter an den Kopf werfe, die mir einfallen und mich selbst dafür verfluche, sie nicht laut zu sagen. Oben angekommen, öffnet er eine Tür und nickt mir kurz zu. Ich soll eintreten. Ich spüre, wie mein Herz gegen meine Brust hämmert und mein Magen sich verkrampft. Ich will nicht. Ich will umkehren. Aber ich habe keine Wahl. Ich setze einen Fuß über die Schwelle und betrete das Unbekannte.

Purer Luxus.

Das Zimmer ist ein Traum aus Gold und Blau. Die Wände sind mit goldenen Tapeten bedeckt, die im Licht des prächtigen Kristalleuchters funkeln. Das Bett ist groß und gemütlich, mit einer blauen Decke und vielen Kissen. Ein Sofa und zwei Kommoden stehen an den Seiten und bieten Platz für Bücher, Kleidung und andere Dinge. Jede Prinzessin wäre glücklich, doch mir raubt es die Luft.

„Mit der Zeit wird es leichter werden", verspricht Lucian, ohne mir in die Augen zu sehen und ich glaube ihm kein Wort.

Er umklammert die Türklinke mit eisernem Griff und bevor er sie zuzieht und mich einsperrt, zögere ich nicht länger. „Was ist mit den anderen Frauen passiert?" Mein Puls hämmert in meinen Schläfen, denn ich bin nicht bereit für die Antwort. Zäh verstreichen die Sekunden, bevor Lucian antwortet.

„Sie waren nicht die Richtigen." Salopp zuckt er die Schultern.

„Und was ist aus denen geworden, die du AUSERWÄHLT hast?" Ich schleudere ihm das Wort aus Leibeskräften entgegen. Der gewaltige Kronleuchter über meinem Kopf zittert durch die Kraft meiner Stimme, dass die Tränen aus Muranoglas wie Glöckchen aneinanderschlagen.

Denn ich glaube sie ihm nicht. Die Lüge, dass ich die Richtige bin und jetzt alles aufhört. Jede Wette, dass er das jeder Einzelnen vor mir genauso erzählt hat!

„Sie sind in der Welt der Fae. In meiner Welt." Die eisige Gelassenheit, mit der er auf meinen Ausbruch reagiert, jagt mir einen Schauder über den Rücken. Geschockt sehe ich zu, wie Lucian sich seelenruhig umdreht und die Tür zuschlägt.

Er lässt mich allein in meiner Verzweiflung und dem überwältigenden Prunk. Noch nie zuvor, war ich so verloren. Ich brauche einen Ausweg! Mein Blick jagt hin und er her und klammert sich schließlich an eine einzelne weiße Rose, die ihre Blüte aus einer schmalen Glasvase emporstreckt.

Ich verstehe Lucians Botschaft: Du bist meine einzige Liebe.

Ich hasse Lügen. Tränen tropfen von meinen Wimpern, als ich begreife, dass ich ganz allein in einer fremden Welt bin. Jenna!

Im ersten Moment frage ich mich, ob es der Gedanke an sie ist, der ihre Stimme in meinem Kopf erweckt, doch dann höre ich sie laut und deutlich.

„Löse es ein!" Die Stimme kommt aus dem Flur vor meiner Tür.

„Che cosa?" Lucians Antwort ist gedämpft, offensichtlich gibt er sich Mühe leise zu sprechen.

„Dein Versprechen!" Meine Ohren zucken bei dem Wort und ich schleiche näher zur Tür heran.

„Quale promessa?" Selbst durch die geschlossene Tür höre ich den Schalk in seiner Stimme. Man kann ihm nicht trauen, ich wusste es längst. Und ich erinnere mich an die Stimme der Alten, wie sie ihrem roten Garn riet: „Aber traue ihm niemals, mai in nessun caso."

Mit angehaltenem Atem presse ich mein Ohr gegen die Tür, doch Jenna wird immer lauter.

„Dass du Mary zurückgibst!" Ich zucke zusammen, als hätte das Holz meiner Ohrmuschel einen elektrischen Schlag verpasst. Ihre Schwester wurde gejagt! Von ihm!

„Impossibile", er klingt zu unbekümmert, als dass ich ihm das abkaufe. Jenna legt nach:

„Ich habe sie zu dir gelockt, indem ich ihr vorgegaukelt habe, ihr Freund hätte sie betrogen! Ich habe ihr das Herz gebrochen!" Jenna schluchzt so laut, dass ich sie kaum verstehe, als sie fragt: Was willst du noch?"

Seine Antwort verstehe ich nicht. Jennas Geständnis verstopft meine Ohren und ich höre mein eigenes Blut darin rauschen. Es geht um mich!

Ich taumel, stürze zu Boden und bekomme keine Luft. Meine Finger sind kalkweiß, als sie panisch über den himmelblauen Teppich fahren und sich in seinem wolkenweichen Flor festkrallen.  Ich weiß nichts mehr, nur, dass ich in diesem Prinzessinnenverließ ersticken werde.

Nein! Feli! Nein!

Mit letzter Kraft stütze ich mich auf und schwanke zum Fenster. In mein Kopf dreht sich ein Karussell aus Bildern, Sätzen und Situationen. Die Whats-App Nachricht, die so gar nicht zu David passte, die Fotos auf JENNAS Handy, IHREN Vorschlag nach Venedig zu fahren. Aber traue ihnen niemals, mai in nessun caso!, der Rat der Nonna.

Meine Beine brechen weg, doch ich greife im letzten Moment den goldenen Griff am Fenster und zu meiner Überraschung dreht er sich.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt