Via di qui

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Verkohlte Augäpfel starren mir aus ihren rußgeschwärzten Höhlen entgegen. Jenna ist längst in dem kleinen Laden verschwunden und ich wette, sie hat die Zeichnungen auf der Markise über dem Eingang überhaupt nicht bemerkt. Ich aber leider schon. Und obwohl ich ihr folgen will, scheinen meine Turnschuhe auf dem Kopfsteinpflaster festzukleben.

Während ich in Zeitlupe näher schlurfe, versuche ich, den Blicken aus den verbrannten Augenhöhlen keine Beachtung zu schenken, doch auch die langen, gebogenen Nasen darunter machen es nicht besser; einige haben die Form von Schnäbeln und laufen vorn spitz zu, andere sind breit und gedrungen. Aber sie sind alle mordshässlich.

Und an sowas soll Hollywood Interesse haben? Die kann man doch bestenfalls für Gruselfilme verwenden.

Erleichtert stelle ich fest, dass im Schaufenster hübschere Modelle liegen: Halb- und Vollmasken mit Federn und Perlen, in Gold oder Silber verziert. Doch auch während mein Blick über die Auslage schweift und sich von einem Detail zum anderen hangelt, fühle ich mich von den hohlen Augen über mir beobachtet. Es ist, als würden sie Löcher in meine Schädeldecke brennen.

Und bevor es tatsächlich dazu kommt, öffne ich die Tür und betrete den Maskenladen. Jennas Zitronenshampoo liegt in der Luft. Sie steht dicht am Eingang, ganz offensichtlich ist sie noch nicht weit gekommen. Und noch bevor die Tür leise hinter mir ins Schloss fällt, begreife ich weshalb.

Im gesamten Laden gibt es keinen Quadratzentimeter, der nicht mit einer Maske bedeckt ist. Es gibt sie in allen Formen und Größen. Sie liegen auf Tischen und in Regalen, hängen an den Wänden und von der Decke. Einige glotzen uns an, wie richtige Gesichter mit Nasen und Mündern, andere sind als Halbmasken geformt oder sehen aus, wie verzierte Plüschschlafmasken mit Gucklöchern.

Jenna staunt mit offenem Mund und ich genauso.

Auch die Vielfalt der Materialien ist beeindruckend. Es gibt feste Masken aus Pappmaché, die mit Farben, Stuck und Schmuck so reich verziert sind, das sie als Museumsstücke durchgehen könnten. Jenna und ich sind von einem ganzen Zoo solcher Tiermasken umgeben: Füchse, Katzen, Luchse, Löwen, ja, ich entdecke sogar einen Elefanten und ein Nashorn.

Dazwischen grinsen Gesichter aus Keramik oder Gips, deren Züge so fein geprägt sind, wie es sonst nur bei echten Menschen der Fall ist. Erst ihre aufwendigen Bemalungen und farbigen Lackierungen erzeugen den für Masken typisch befremdlichen Effekt.

Nirgends entdecke ich Spuren von Leim oder loose Fäden, jede Perle und jeder Stein sitzt akkurat an seinem Platz. Die Seiden- und Samtstoffe, mit denen einige der Masken überzogen sind, schimmern im Licht und es kribbelt in meinen Fingerspitzen, sie zu berühren.

Doch mitten in der bunten Menge glänzt es metallisch. Eisenmasken liegen oder hängen verstreut herum, sodass ihre Kälte ungehindert auf alles abstrahlt.

Am gruseligsten ist eine Schnabelmaske aus schwarzem Eisen, die an einer lebensgroßen Puppe befestigt ist. Sie verhüllt nicht nur deren komplettes Gesicht, sondern verleiht der Figur gleichzeitig etwas Unmenschliches; verwandelt sie in ein Mischwesen aus Vogel, Mensch und Maschine.

„Nehmt die Katze!" Die fremde Stimme neben uns knarzt wie eine alte Treppe und lässt uns herumwirbeln.

Eine Frau steht da. Im ersten Moment halte ich sie für nicht älter als Mitte dreißig. Ihre Augen sind klar und ihre Haut glatt, der Mund leicht nach oben geschwungen und die Augenbrauen, wie von Pinseln gemalt. Ihr dunkelbraunes Haar trägt sie zu einem dicken Zopf geflochten, der bis zur Mitte ihres Rückens reicht. Hier und da blitzen silberne Strähnen daraus hervor.

Sie trägt ein dunkelgrünes Wickelkleid, dass mich stark an einen Bademantel erinnert.

Doch dann entdecke ich die Falten an ihrem Hals, die so gar nicht zu dem Rest passen. Ist sie doch schon über fünfzig? Gar sechzig?

„Das ist ein altes venezianisches Modell." Sie hält Jenna eine Maske hin und ich halte den Atem an. Nur am Rande nehme ich wahr, dass ihre Hände genauso von Falten überzogen sind, wie ihr Hals, denn das, was sie umgreifen, zieht mich magisch in seinen Bann.

Es ist eine Katzenmaske, die mit hellem Stoff bezogen ist. Die spitzen Ohren sind mit schwarzen Perlen bestickt. Um die Augen glänzen filigrane Goldverzierungen, die ihre geschwungene Form betonen und sich bis in die Stirn ziehen. Auch der seidene Stoff ist reichlich verziert; stilisierte Noten und Notenschlüssel, Rosen und Blütenblätter verflechten sich darauf zu einem zarten Muster. Keine Frage, diese Maske ist etwas Besonderes; davon zeugt auch ihr Preis.
Ich schnappe erschrocken nach Luft, doch von Jenna bleibt jede Reaktion aus.
Sie steht neben mir an Ort und Stelle, ihre Augen glitzern, ihre Lippen sind in Verzücken leicht geöffnet und ihre Finger strecken sich zögernd nach der Maske, als wäre es bereits vermessen, die Luft, die sie umgibt, zu berühren. Ganz ehrlich, mich würde es nicht wundern, wenn ihr gleich vor lauter Glückseligkeit ein Stöhnen entfährt. Sie sieht aus wie eine Braut, die soeben ihr Hochzeitskleid gefunden hat.

Nur spüre ich überhaupt nicht das Bedürfnis, sie zu beglückwünschen. Im Gegenteil - ich will hier weg.

Die zahllosen Masken geben mir das Gefühl, beobachtet zu werden. Außerdem ist es heiß und stickig in dem engen Gang zwischen den vollgestopften Tischen und Regalen.

Vielleicht rächt sich jetzt auch der große Cappuccino von heute Morgen. Manchmal vertrage ich Koffein nicht so gut, wie ich gern würde. Ich trete einen Schritt zurück und stolpere gegen etwas. Wie vom Donner gerührt, fahre ich zusammen.

Hinter mir steht so eine Puppe mit so einer grauenhaften Eisenschnabelmaske. Wie konnte ich die vorher übersehen?

„Ihr solltet jetzt gehen." Die Verkäuferin sieht zu mir. „Via di qui!" Die Auffoderung klingt in meinen Ohren wie das Zischen einer Schlange.

„Äh ja, das hatte ich eh gerade vor!", stammel ich und schiebe mich an dem Schnabel vorbei zur Tür.

„Aber du hast doch noch gar keine Maske gefunden!" Jenna ist sichtlich irritiert, trotzdem hält sie die Katzenmaske wie einen Schatz umklammert und fest an ihre Brust gedrückt.

„Sie wird hier auch nicht das Richtige finden." Die Verkäuferin mustert mich noch immer.

Oje, Hilfe! Ich merke, dass ich knallrote Ohren bekomme. Wahrscheinlich trägt sie keinen Bademantel, sondern ein Designerkleid, was Jenna natürlich klar ist und nur mir entgangen war. Und bestimmt sieht sie mir an der Nasenspitze an, dass ich eine Nullprozentfinanzierung mit zwanzig Jahren Laufzeit bräuchte, um nur eines ihrer Kunstwerke erwerben zu können.

Die Hitze bereitet sich von den Ohrmuscheln über mein ganzes Gesicht aus und von den starrenden Blicken um mich herum, bekomme ich Kopfschmerzen hinter der Stirn.

„Na, hören sie mal!" Jenna ergreift Partei für mich, obwohl ihre Maske noch nicht bezahlt ist.

„Eine Maske findet dich - nicht andersherum." Bei der Strenge, die die Frau an den Tag legt, wundert es mich, dass sich ihre Pinselstrichaugenbrauen keinen Millimeter bewegen.

Jenna nickt und lächelt, als hätte sie den Affront gegen mich schon wieder vergessen. „Stimmt!", pflichtet sie der Verkäuferin bei und betrachtet das halbe Katzengesicht an ihrer Brust mit einem Blick wie ich David angesehen hatte, als ich frisch verknallt war. Ok, wahrscheinlich würde ich ihn auch heute noch so ansehen.

„Die Katze passt vorzüglich." Ich bekomme nicht mit, wer von den beiden das sagt, da ich bereits die Türklinke nach unten drücke.

Und während Jenna ein halbes Vermögen loswird, warte ich draußen.

Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWhere stories live. Discover now