Kapitel 10 - Schwarz wie die Nacht ✅

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Nun blickte Claire mir wieder in die Augen. Sie wirkte verzweifelt, verunsichert. Beinahe schon wie ein kleines Kind, das heimlich an die versteckten Kekse gegangen war.
»Bitte Mika, sag doch was!«, verzweifelt raufte sie sich ihre blonden Haare, während sie mich ansah. Meinte sie das wirklich ernst? Die Entschuldigung?
»Ich weiß, dass ich total blöd reagiert habe.«, sie sprach leise, mied meinen Blick. »Und ich schäme mich dafür. Es war nur verängstigend. Verstehst du?« Sie starrte zu Boden und wippte leicht hin und her. Sie war nervös. »Als ich dich auf dem Kampfplatz gesehen habe und du Blondi kontrolliert hast und dann auf einmal diese Schmerzen da waren ... Du sahst so aus, als hättest du auch noch Gefallen daran. Ich hatte Angst, Mika.« Ihre Worte trafen mich wie ein Messer ins Herz. Verbittert presste ich meine Lippen aufeinander. Beschämt wagte ich es kaum, den Blick von meinen Schuhen zu nehmen. Ich muss wie eine Psychopathin gewirkt haben.

Claire sah nun wieder in meine Augen. Sie wirkte jetzt vollkommen entschlossen. »Ich habe einen Fehler gemacht. Du hast dein Element entdeckt. Und ich habe dir weder geholfen zu verstehen oder damit klarzukommen, sondern Abstand zu dir gehalten. Und das tut mir so unfassbar leid. Auch wie ich dich behandelt habe.« Sie holte tief Luft, sah mir fest in die ungewöhnlich grauen Augen. Und ich fragte mich, wie ich das nur verdient hatte. Claire war viel zu gut.

»Verzeihst du mir?«

Ich konnte sie nur entgeistert anstarren. Sie tat das hier gerade wirklich.
Sie bat mich um Verzeihung. Ausgerechnet mich, obwohl eigentlich ich diejenige sein sollte, die um Verzeihung bitten sollte.

»Nur wenn du mir verzeihst.«, sagte ich leise. »Ich muss wohl ziemlich einschüchternd gewirkt haben. - Na gut. Einschüchternd ist wohl das falsche Wort. Beängstigend trifft es eher. - Es war falsch, euch allen Schmerzen zuzufügen, anstatt nur Aiden. Und das tut mir leid. Sehr leid. Das wollte ich nicht.« Ich sah zu Boden. Ich war verdammt schlecht in so etwas. Noch einmal holte ich tief Luft, sah Claire in die Augen, setzte zum Sprechen an, wollte das Ganze doch noch ein bisschen angemessener formulieren, doch auf einmal sagte sie: »Ja.« und grinste.
»Was?«, fragte ich verwirrt. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen.
Sie grinste einfach weiter. »Du wolltest mich fragen, ob ich dir verzeihe. Meine Antwort ist ja. Und ich hoffe, dass du auch mir verzeihst.« Ohne mein Zutun schlich sich ein erfreutes Lächeln auf meine Lippen. Eine kleine, angenehm warme Flammen der Hoffnung entzündete sich in meinem Inneren und mir wurde warm ums Herz.
»Ja.« Claire musste noch breiter grinsen, als sie meine Antwort hörte. Sie hielt mir die Hand hin.

»Freunde?«
»Freunde.« Wir drückten einander die Hände. Innerlich jubelte ich undsprudelte beinahe über vor Freude. Claire und ich waren Freundinnen! Ich war nicht mehr allein. Alle meine Probleme erschienen auf einmal nur noch halb so erdrückend.
»Ach, scheiß drauf!«, rief Claire auf einmal und zog mich in eine starke Umarmung. Mir blieb die Luft weg. Dennoch erwiderte ich die Umarmung, war aber froh, als Claire mich endlich losließ und ich wieder vernünftig atmen konnte.

»Kommst du?«, rief Claire und drehte sich zu mir um.
»Renne doch nicht so.«, brummte ich, während sie schon wieder auf mich zu gehastet war und mich am Handgelenk packte, um nicht zu spät in den Speisesaal zu kommen. Fröhlich zog sie mich mit sich und stieß die Tür zum Speisesaal auf. Sofort lagen alle Blicke auf uns. Augenblicklich machte ich mich unwillkürlich kleiner. Claire jedoch ignorierte die Blicke und ließ ihren Blick suchend über die Schüler gleiten. Schließlich blieb er an meinem Bruder hängen und sie zog mich selbstbewusst an den anderen vorbei, auf seinen Tisch zu.

Will hatte uns nun auch entdeckt und ein überraschtes, aber zufriedenes Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er sah, dass ich jemanden dabei hatte. Oder eher: dass mich jemand dabei hatte. Es war unglaublich, wie viel leichter ich mich fühlte. Als hätte man mir eine große Last abgenommen, sodass es mir endlich erlaubt war, wieder frei atmen zu können.

Claire ließ sich gelassen auf den Stuhl fallen. Ich setzte mich zwischen sie und meinen Bruder. Dieser grinste mich immer noch an.

»Was grinst denn du so blöd?«, fragte ich ihn. Er lachte und zerzauste mir das schwarze Haar. Empört schlug ich seine Hand weg. Wie alt glaubte er, war ich? Sechs?
»Lass das!«, rief ich und versuchte, Wills Hand von meinem Kopf zu bekommen, was sich als schwieriger gestaltete, als erwartet. Ich würde ja gerne sagen, dass er keine Chance gegen mich hatte, aber das wäre gelogen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte ich ihn entgeistert. Er deutete mit einem großen Grinsen auf Claire.

»Du hast eine Freundin gefunden, die nicht wegrennt, wenn sie dich sieht.«, sagte er scherzhaft. Dennoch verursachte diese Aussage einen kurzen Stich in meiner Magengrube, den ich mit einem leisen Lachen überspielte.

Ich schnaubte. »Na danke, Will.«

»Ist doch so.«, sagte er und verschränkte wie ein bockiges Kind die Arme und reckte arrogant das Kinn in die Luft. Das sah so komisch aus, dass ich dieses Mal wirklich lachen musste. Von Claire hörte ich ein unterdrücktes Glucksen. Es klang so, als hätte sie sich verschluckt und würde dann gleich tot vom Stuhl kippen.
Will beendete seine Schauspielerei nun und reichte Claire dir Hand.

»Ich bin Will.«, sagte er. »Mikas Bruder.«

Claire erwiderte den Händedruck.

»Claire.«, sagte Claire grinsend. »Mikas Jetbekanntschaft.«


Der Schultag ging relativ schnell zu Ende. Beinahe war es so, als flogen die Stunden nur so an uns vorbei. Und der Tag war auch nicht so schlimm, wie ich anfangs gedacht hatte. Mit Claire und Will an meiner Seite war es sogar ganz lustig. Sie verstanden sich gut und machten mir den Tag erträglicher. Die Zeit mit ihnen zusammen genoss ich unglaublich. Fast konnte ich mit ihnen an meiner Seite vergessen, was mich alles beschäftigte. Und dafür war ich ihnen sehr dankbar.

Sie lenkten mich von den Blicken der anderen ab und ließen mich vergessen, dass die meisten Angst vor mir hatten und in den Gängen einen großen Bogen um uns machten.
Aber Will machte ja eigentlich genau das selbe durch wie ich momentan. Auch seine Klassenkameraden machten einen großen Bogen um ihn, seit sie wussten, dass Will gar nicht wie sie war. Und mich schmerzte das vermutlich mehr als ihn. Immerhin war ich Schuld daran, dass alle ihn wie die Pest mieden. Dabei hatte er im Gegensatz zu mir keinem ein Haar gekrümmt.

Aber Will ließ sich nichts anmerken. Ich glaube, er war einfach froh darüber, mich endlich wieder zu haben. Auch, wenn es ihn verbitterte, dass Damon Firelight mich zuerst gefunden und auch noch angegriffen hatte. Ich glaubte, er plante schon seinen Rachefeldzug. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich ihn auch gar nicht davon abhalten. Der Feuerelementar machte mir höllische Angst. Auf mich wirkte er nicht, wie ein gewöhnlicher Schüler oder wie ein gewöhnlicher Elementar. Irgendwer hätte mir erzählen können, dass Damon ein Ungeheuer aus der Unterwelt wäre und ich hätte ihm geglaubt.
Was mich allerdings auch beunruhigte war, dass, egal wo ich mich aufhielt, Damon Firelights Blick immer präsent war. Vereinzelt sah er zwar auch mal zu Will, aber hauptsächlich behielt er mich im Auge. Hatte er mich als die größere Gefahr erkannt? Seine Blicke jagten mir eisige Blitze über den Körper und hinter jeder Ecke erwartete ich, dass er mit flammender Hand auf mich wartete, um zu beenden, was er begonnen hatte.
Aber was wollte er dann tun, sollte er mich alleine erwischen? Würde er mich töten? Mich bedrohen? Oder einfach nur reden wollen? Na gut, letzteres war eher unwahrscheinlich. Weshalb reden, wenn er auch handeln konnte? Ganz bestimmt würde er nicht erst fröhlich mit mir plaudern, bevor er mich umbrachte.
In Zukunft sollte ich definitiv aufpassen. Ich sollte dem Jäger nicht die Chance geben, mich alleine anzutreffen. Um meinetwillen.


»Wo gehen wir hin?«, fragte Claire gerade, als wir auf dem Weg zum Westturm waren.
»Wirst du schon sehen.«, sagte ich grinsend und Will und ich warfen uns verschwörerische Blicke zu. Sie würde solche Augen machen! Claire blieb dies nicht unbemerkt.
»Okay, sollte ich jetzt Angst haben?«, fragte sie. Weder Will noch ich antworten ihr. Das machte Claire nervös. Ich fand es einfach unglaublich lustig, wie sie den ganzen Weg über versuchte, Antworten aus uns heraus zu bekommen. Und dann standen wir vor der Wand, die zu der versteckten Treppe führte. Verwirrt sah sie uns an, riss dann aber erstaunt ihre Augen auf, als sich die Wand öffnete und ein Tür freigab.
»Wow!«, kam es von ihr.

ObscuraWhere stories live. Discover now