Kapitel 46 - Zurück zum Darkstone Castle

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Damon. Immer wieder Damon. Konnte er mich nicht ein mal in Ruhe lassen? Er war immer überall. Er war dort, wo ich war. In der Stadt, in der ich einst mit Hanne gelebt hatte, im Wald, in den Kerkern des Darkstone Castle, in meinen Gedanken und nun ließ er mich nicht einmal  in London in Ruhe.

"Was das ...?", fragte Desdemona ungläubig und sah mit vor Erstaunen geweiteten Augen zurück, doch Damon war bereits wieder verschwunden.

"Ja.", beantwortete ich monoton ihre halb ausgesprochene Frage. "War es."

Zu meiner Verwunderung grinste sie breit. Belustigung blitzte in ihren Augen auf und sie fing an zu lachen.

"Was ist denn daran so lustig?", fragte ich genervt und wandte mich von ihr ab.

Desdemonas Lachen verklang, doch noch immer war ihr Grinsen da. "Reg dich ab, Lune! Ich finde es irgendwie nur lustig, dass Dylan ausgerechnet Damon beinahe überfahren hat! Hast du Damons Gesichtsausdruck denn nicht gesehen? Das war das Beste von allem!" Sie tätschelte mir beschwichtigend den Arm.

Ein kleines Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Und ich begann zu verstehen, was sie so lustig gefunden hatte. Ja, ich hatte seinen Gesichtsausdruck gesehen und der war wirklich fantastisch gewesen! Ich glaubte, dass war einem Jäger wie Damon Firelight noch nie passiert!

"Na siehst du! Jetzt findest du es auch lustig!", sagte Desdemona triumphierend. Sie stieß Liam mit ihrem Ellenbogen in die Seite. "Sie findet es auch lustig!"

Liam fing genervt ihren Ellenbogen ab, als sie diesen erneut in seine Seite stoßen wollte. "Lass das!" Seine grünen Augen bohrten sich in Ihre und grummelnd ließ Desdemona ihn dann auch in Ruhe. Allerdings nicht ohne noch einmal "Spielverderber!" zu murmeln.

Sah Desdemona denn nicht, dass Liam ihr immer wieder Seitenblicke zu warf?

Und sah Liam denn nicht, dass Desdemona ihm immer wieder Seitenblicke zuwarf?

Waren die beiden so blind dafür? Sie hassten einander gar nicht so sehr, wie sie es immer vorgaben.

Da! Jetzt tat er es schon wieder! Liam schielte für den Bruchteil einer Sekunde zu Desdemona herüber und blickte direkt wieder weg! Er sollte endlich zugeben, dass er sie mochte! Genauso wie sie zugeben sollte, dass sie ihn mochte! Im Flugzeug hatte es doch wunderbar funktioniert! Na gut ... Bis Liam Desdemona zwangsweise wecken musste. Aber dennoch.

"Dylan, SACKGASSE!", warnte Imogen und deutete gerade aus, wo die Straße zu Ende war, doch Dylan schüttelte den Kopf. "Nein, das ist keine Sackgasse, vertrau mir!" Er riss erneut das Steuer herum und der Wagen raste in einen unscheinbaren Zwischengang, wo der große Geländewagen mit Mühe und Not gerade so hinein passte.

Grace seufzte auf, drückte das Handschuhfach auf, zog daraus eine Tasse und eine Thermoskanne mit Wasser, auf die sie ihre Hand legte. Augenblicklich spürte ich die Wärme, die sich in der Thermoskanne ausbreitete, als sie das Wasser erwärmte. Danach fischte sie einen ihrer Teebeutel aus ihrer Tasche, legte ihn in die Tasse und schüttete das nun warme Wasser aus der Thermoskanne in die blaue Henkeltasse.

Wie konnte sie in einer solchen Situation daran denken, Tee zu trinken? Hatte sie denn keine Angst etwas davon zu verschütten? Ich bemerkte, dass ich nicht die einzige war, die Grace ungläubig ansah. Liam und Desdemona schien es ähnlich zu gehen.

Jetzt klappte Desdemona die Kinnlade herunter, als Grace ihren kleinen Finger abspreizte und anmutig zu trinken begann. Nun war es an Liam, ihr wortlos die Kinnlade wieder hoch zu klappen.

Dylan nahm wieder eine scharfe Kurve, doch Grace schaffte es mit einer unglaublichen Leichtigkeit, nichts zu verschütten.

"Wie macht sie das?", sprach ich meine Gedanken leise aus.

"Ich weiß es nicht, aber es ist definitiv Zauberei!", staunte Desdemona.

Liam seufzte. "So etwas wie Zauberei gibt es nicht."

Desdemona warf mir einen kurzen Blick zu, den ich erwiderte.

"Sicher?", fragte sie Liam. Ich musste mir ein Lachen verkneifen.

Dylan fuhr so schnell, dass wir bereits jetzt schon London hinter uns gelassen hatten und das, ohne in einen Stau zu geraten. Dylan war ein wahrer Meister, was das Fahren anging, da musste ich Imogen recht geben. Außerdem war das Vertrauen, das Grace und Imogen in Dylans Fahrkünste hatten erstaunlich. Wie ruhig sie bei einer Fahrt wie dieser blieben und dabei auch noch in aller Ruhe Tee trinken und Kaugummi kauen konnten.

"Es wird nicht mehr allzu lange dauern, da wir nun aus London raus sind.", berichtete Dylan. Ich wollte gar nicht wissen, wie schnell er fuhr.

Liam runzelte seine Stirn. "Nicht mehr lange? Wir müssen hoch in den Norden Englands. Das wird schon einige Stunden dauern!" Misstrauisch beäugte er Dylan, der gelassen in den Spiegel guckte, um Liam sehen zu können.

"Was, wenn ich dir sage, dass wir es in der Hälfte der eigentlichen Fahrzeit schaffen?" Es klang wie eine Herausforderung oder eine Wette.

Liam lachte sarkastisch auf. "Das ist unmöglich!"

Dylans Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. "Nicht, wenn wir uns nicht an die Verkehrsregeln halten!" Und als sei es ein Kommando gewesen, drückte er noch fester auf das Gaspedal.

"AAAAHHH!", machte Desdemona, krallte ihre Finger krampfhaft in die weiche Sitzbank, als wir alle in die Sitze gedrückt wurden. Wir wurden immer schneller und Dylan dachte nicht einmal daran, langsamer zu fahren. Sie alle waren wild entschlossen so schnell wie möglich bei Ariadne zu sein.

Und irgendwie konnte ich es mir nicht vorstellen, dass es eine Seite von Ariadne gab, die alles andere als böse und kalt war, als Seite von Ariadne, die wir alle bereits kannten. Konnte es eine Ariadne geben, die lieben konnte? Die freundlich war? Sie wirkte nicht wie der Familienmensch. Sie wirkte wie eine Einzelgängerin, die besser alleine durch die Weltgeschichte wanderte. Doch was gab ausgerechnet mir das Recht, über Ariadne zu urteilen? Ich sollte es doch eigentlich besser wissen, oder?

Nicht immer war alles wie es zu sein schien. Und Leute konnten sich verändern. Ich hoffte wirklich, dass Dylan, Grace und Imogen Ariadne helfen konnten. Aber was wäre, wenn Ariadne überhaupt keine Hilfe wollte? Wir konnten niemandem unsere Hilfe aufzwingen, der sie gar nicht haben wollte.

Zwischen all diesen Gedanken bemerkte ich nicht einmal, wie mir meine Augen zufielen und ich in einen tiefen Schlaf fiel.

"Hey, Lune! Wach auf!", riss mich Liams Stimme irgendwann aus dem Schlaf. Ich hatte sämtliches Zeitgefühl verloren. Etwas verschlafen sah ich ihn an. Vage erinnerte ich mich noch an meinen Traum, indem ein gewisser Junge mit schwarzen Augen vorgekommen war.

"Was ist?", brummte ich und rieb mir die Augen.

Liam grinste. "Wir sind da."

Schlagartig riss ich meine Augen auf. "WIE BITTE?" Wie lange hatte ich denn geschlafen? Ich war vielleicht etwa eine Stunde weggewesen! Wie konnten wir schon da sein?

"Du hast lange geschlafen, Lune.", sagte Liam und deutete aus dem Fenster. "Siehst du? Wir sind schon da!" Ich folgte seinem Finger und erblickte das bekannte, düstere Schloss, dass sich vor uns aus dem Erdboden erhob. Tatsächlich. Das Darkstone Castle.

"Na dann komm, Schlafmütze!", neckte mich Liam und verließ hoch motiviert den Wagen. Verwirrt sah ich ihm nach. So kannte ich ihn ja überhaupt nicht. Doch mir sollte es recht sein. Ich streckte mich einmal kurz und folgte den anderen nach draußen.

Die Drillinge standen alle in einer Reihe nebeneinander und bestaunten das alte Schloss. "Das ist es also.", murmelte Grace, deren Hand sachte über ihre Tasche strich.

"Das berühmte-unbekannte Darkstone Internat für die Elementary, die sich von den normalen Elementary unterscheiden ...", sagte Dylan und betrachtete das düstere Darkstone Castle.

Nun hieß es dann wohl alles oder nichts. Die Glacial Drillinge waren hier, doch was war, wenn Ariadne nicht zu finden war oder sie gar nicht sehen wollte? Ich schluckte. Wir hatten nur diese eine Chance. Niemand konnte wissen, was Ariadne tun würde, würde sie sich nicht helfen lassen.

Konnten die Drillinge überhaupt noch behaupten, ihre jüngere Schwester zu kennen? Was wäre, wenn Ariadne sich nach dieser Aktion vollkommen den Jägern zuwenden würde?

Und nun lag es an uns, das heraus zu finden.

ObscuraWhere stories live. Discover now