Kapitel 47 - In den Kellergewölben

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Desdemona schnappte keuchend nach Luft und ich half ihr dabei, sich wieder aufzusetzen. Ihre Hand klammerte sich an mir fest, während sie atemlos nach Luft rang. "Geht schon!", brachte sie keuchend hervor und zog sich an mir hoch. Auf recht wackeligen Beinen stand sie nun und schwankte. Ehe sie fallen konnte, packte Liam sie, noch schneller, als ich und zog sie zu sich. Er hielt sie auf den Beinen und sah ihr fest in die Augen, während er sie aufrecht erhielt.

"Das hättest du nicht tun sollen.", sagte er. "Das war gefährlich. Nicht ohne Grund ist es denjenigen untersagt diese Fähigkeit zu nutzen, die in der Lage sind diese einzusetzen."

Desdemona grinste Liam schief an und schwankte schon wieder, doch Liam hielt sie fest. "Es ist nicht das erste mal, dass ich es tue, Liam. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich wohl die Beste in diesem Gebiet bin! Es ist das, was ich am Besten kann!"

Sie atmete einmal tief durch, dann entzog sie sich Liams Halt. Sie schien sich wieder vollkommen gefasst zu haben. Es schien kein Problem mehr für Desdemona sein zu stehen oder zu laufen. Sie ignorierte die fassungslosen Blicke der Glacial Drillinge.

"Ariadne befindet sich in den Kerkern. Anscheinend gibt es dort einen Geheimgang, der nur von innen zu öffnen ist. Das würde erklären, wie es Damon hinein geschafft haben könnte.", erklärte Desdemona, doch ich sah ihr ihr Unbehagen an. Ich schluckte. Wenn sich Ariadne in den Kerkern befand, wo ein Geheimgang war, könnte das bedeuten, dass sie auf die Jäger wartete, um diese vielleicht ins Schloss zu bringen. Immerhin gab es im Schloss genügend Schatten und Ghost Elementary. Und das konnte bedeuten, dass wir bald schon wieder Damon begegnen würden. Auch wenn ich das unbedingt verhindern wollte, irgendetwas schien in mir unbedingt zu wollen, dass Damon kommen würde. Irgendetwas in mir sehnte sich danach. Es war schon beinahe unheimlich.

Ich bemerkte nicht, wie ich mich ein wenig gerader hinstellte und ein wenig mein Kinn empor hob. Ich war nicht mehr bereit dazu, weg zu rennen. Ich wollte bleiben. Wollte für mein Dasein kämpfen. Auch wenn das bedeutete, ich würde Damon gegenüber treten müssen. Ich würde nicht aufgeben. Und vielleicht würde Damon dann endlich aufgeben mich zu jagen, wenn ich ihn das Ausmaß meiner Macht spüren ließ, obwohl es mir widerstrebte dies zu tun.

"Dann sollten wir uns beeilen!", sagte Liam und eilte voran. "Ehe sie die Jäger hereinlässt!", rief er und noch über seiner Schulter zu. Dieses mal bemerkte er die Schatten, die sich um ihn sammelten und ich glaubte, dass er ziemlich froh deswegen war.

Desdemona und ich nickten uns kurz zu, dann folgten wir fest entschlossen Liam.

"Nun kommt schon!", rief Desdemona den Drillingen zu, die wie angewurzelt noch an Ort und Stelle standen.

Wir erreichten die große Tür und jetzt setzten sich auch die Drillinge in Bewegung. Liams Schatten stießen die Tür vor uns auf und wir schritten weiter. Unsere Schritte hallten durch den Gang. Mehrere Elementary, die hier zur Schule gingen drehten sich verwundert zu uns herum.

"Sind das Desdemona und Liam? Und diese Lune?", wurde getuschelt. "Wer sind die anderen?"

Wir beachteten sie überhaupt nicht, schritten einfach weiter zu den Kerkern. Desdemonas und Liams Schatten teilten die Menge. Alle wichen hektisch vor den Schatten zurück, die sie zur Wand trieben, damit wir ungehindert durch die Menge konnten.

"Da ist die Tür!", sagte ich und streckte meine Hand aus. Die Tür flog krachend auf. Ein Kreischen ertönte und Hermes schoss im Sturzflog auf uns hinab. Liam und die Glacials wichen zurück, doch Desdemona streckte den Arm aus, auf dem Hermes geschickt landete, ohne einem von uns mit seinen Klauen die Augen auszustechen.

Sobald wir die Treppen zu den Kerkern hinabgingen, umhüllte uns die Kälte, die durch jede Zelle unserer Körper floss. Alle erzitterten kurz. Alle, außer ich. Doch nicht einmal Liam fiel das nun auf. Obwohl er bis vor unserem Ausflug noch auf alles geachtet hatte, was ungewöhnlich an mir war. Ich wertete das als eine positive Entwicklung.

In dem kalten Gang vor uns erstreckte sich die Dunkelheit. Irgendwer schien die immer leuchtenden Fackeln ausgemacht zu haben. Und da keiner von uns zu den Feuer Elementary gehörte, konnten wir die Fackeln auch nicht wieder entzünden.

"Au!", zischte Desdemona. "Das war mein Fuß, du Idiot!"

"Ja, ja, Entschuldigung.", zischte Liam zurück.

Seufzend erhob ich meine Hände, vor denen sich nun glühende violette Energie ansammelte, die den Gang erstaunlich gut erhellte. Meine Energie tauchte den steinernen Gang in ein düsteres Licht, das gespenstische Schatten an die Wände warf.

"Jetzt abbiegen!", bemerkte Desdemona und deutete in einen weiteren dunklen Gang.

"Das hier ist das reinste Labyrinth ...", flüsterte Grace und presste ihre Tasche an ihren Körper.

"Es ist nicht mehr weit.", berichtete Desdemona. "Nur noch eine Abbiegung."

Hier erschienen unsere Schritte nun noch lauter. Sie erklangen von überall. Die Schatten an den Wänden ließen mich zurück zucken und für einen Moment glauben, verfolgt zu werden. Doch wer konnte schon wissen, ob es nicht wirklich so war?

Am Ende des Ganges konnte ich das rote, flackernde Lich einer Fackel erkennen. Die Flamme zuckte hektisch in ihrer Halterung. Durch die Flamme erschienen wild tanzende Schatten an den Wänden.

Liam legte seinen Zeigefinger an seine Lippen und bedeutete uns somit leise zu sein. Wir alle nickten. Wieder kamen in mir Bedenken hoch. Was, wenn die Jäger bereits da waren? Und wir uns verteidigen müssten, um sie zurück zu halten? Wie viele würden es sein?

Wir pressten uns an die Wand in der sich auch die offene Tür befand, aus der zusätzlich Licht schien. Ich hörte Schritte und ein kaum vernehmliches Wispern.

"Nein, ich bin allein.", erklang plötzlich Ariadnes Stimme. Bei dem Klang ihrer Stimme, versteiften sich Dylan, Grace und Imogen. Sie pressten sich an die Wand, ihre Augen waren alle weit aufgerissen. Ich konnte ihnen den Schock ansehen. Jahrelang hatten sie ihre Schwester für verloren geglaubt, hatten den Klang ihrer Stimme nicht mehr gehört. Und nun prasselte alles auf sie ein. Vermutlich Erinnerungen. Erinnerungen an eine jüngere Ariadne, die noch keinerlei Erfahrung darin hatte, Elementary zu jagen und zu töten.

Ich bemerkte, wie Grace bebte, als sie ihre Tränen zurück hielt. Ich bemerkte Imogen, die still ihren Kopf gegen die Wand gepresst hatte. Niemand von ihnen schien zu wissen, wie er zu reagieren hatte. Sie wussten nicht, wie sie auf ihre Schwester zugehen sollten. Sie wussten nicht, wie sie reagieren würde, wussten nicht, ob Ariadne sie überhaupt sehen wollte. Sie kannten ihre Schwester nicht mehr.

Dylan war ungewöhnlich ruhig, versunken in seinen Gedanken. Er hatte den Kopf gesenkt, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte und hatte jeden seiner Muskeln angespannt. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt.

"Ich öffne euch jetzt die Tür.", sagte Ariadne und Liam gab hektisch ein Zeichen, das bedeutete, dass wir endlich etwas tun sollten. Ohne uns einen genaueren Plan überlegt zu haben, riss sich Dylan aus seiner Starre und rannte in den Raum. "Ari!"

ObscuraWhere stories live. Discover now