Kapitel 78.5 - Der Sturm

5.4K 474 40
                                    

Doch statt lichterloh in glühende Flammen aufzugehen, stieß das Feuer an eine unsichtbare Wand. Nur wenige Millimeter vor meiner Mutter. Diese blieb ruhig und ließ sich nichts anmerken.
Erst dann bemerkte ich, dass sie einige ihrer Finger angehoben hatte. Anscheinend hatte dies schon ausgereicht, um das Feuer zu stoppen.

Ich verfluchte mich innerlich selbst. Wie konnte ich die ganze Zeit über so abgelenkt sein? Mein Leben hing schließlich von meiner Aufmerksamkeit ab! Nicht nur meines. Was, wenn meine Mutter keine Chance mehr gehabt hätte, die Flammen zu kontrollieren? Es hätte ganz anders ausgehen können.

Davon zeugten auch meine Verletzungen. Obwohl sie bereits langsam begannen, zu verheilen. Das hier war kein unbedeutender Kinderkampf. Sein Ausgang würde über unser aller Schicksal entscheiden. Und ich? Ich hatte nichts besseres zutun, als mich ablenken zu lassen und die anderen zu beobachten. Das war doch kein normales Verhalten in einer solchen Situation!

"Alles gut bei dir?", wollte Rhea wissen und sie drehte sich halb zu mir um, während sie das Feuer zurück auf seinen Erschaffer schickte. Dieser erhob sofort seine Hände und fing sein eigenes Feuer ab.
Ich nickte bloß. "Eigentlich sollte ich das dich fragen.", meinte ich.
Meine Mutter seufzte. "Weißt du, Mika. Du kannst nicht einfach hier herum laufen und schauen, wie es bei deinen Freunden läuft. Sie alle müssen auf sich selbst aufpassen. Du kannst dich nicht auch noch auf sie konzentrieren. Es ist dein erster richtiger Kampf. Oder?" Ohne großartig hinzusehen, warf sie mit ihrer Magie drei Jäger beiseite, die auf uns zu rannten. Ihre gezückten Klingen flogen durch die Luft - Ganz weit weg von ihren Besitzern.
"Siehst du? Schon wieder!", rügte Rhea mich und ich meinte, Verärgerung in ihren Augen aufblitzen zu sehen, während sie den Jäger, der wohl hinter mich getreten war, entfernte. "Konzentriere dich! Pass auf! Es geht hier um dein Leben!" Zerknirscht sah ich zu Boden.
"Hey!", rief meine Mutter da schon und schnipste mir vor mein Gesicht. "Konzentration! Aufmerksamkeit! Was habe ich dir gesagt? Wenn du nicht beides kannst - kämpfen und zuhören oder zuschauen- dann tu nur eines davon. Aber beachte die Risiken." Plötzlich wirbelte sie umher und schaltete einem Jäger nach den anderen das Licht aus.

Ich zwang mich, meinen Blick von meiner Mutter zu nehmen. Stattdessen beobachtete ich die Jäger, die sich in meine Nähe wagten. Beinahe sofort begann der Boden unter meinen Füßen zu beben und dickte Ranken sprossen aus dem Boden. Diese wickelten sich um meine Beine und hielten mich an Ort und Stelle.

Hastig versuchte ich die Fesseln von mir zu lösen. Das gestaltete sich allerdings schwieriger, als ich es erwartet hatte. Kaum hatte ich eine Ranke gelöst, schoss die nächste aus dem Erdboden und fesselte mich erneut. Mir blieb auch keine weitere Zeit, um mich wieder daran zu machen, mich zu befreien, denn schon kamen die vier Jäger auf mich zu. Gemeinsam richteten sie ihre Hände auf mich. Ihre Mienen waren eisern. Sie würden alles daran setzen, um mich zu vernichten. Obwohl ich mittlerweile echt bezweifelte, dass ich hier die größte Gefahr für die Jäger darstellte. Ich war nichts weiter, als ein überfordertes Kind, dem eingeredet worden war, dass es in etwas besonders gut war und helfen könnte. Das war mir so lang eingeredet worden, dass ich es selbst geglaubt hatte. Zumindest für eine Zeit lang. Jetzt traf mich die Wirklichkeit wie ein Fausthieb.
Egal wie mächtig ich sein mochte - Es brachte gar nichts, wenn ich wie ein unerfahrenes Kind über das Schlachtfeld stolperte. In diesem Sinne machte mich meine Macht bloß zu einer Zielscheibe. Dabei war ich so nutzlos Schneeschieber im Sommer.
Macht war bedeutungslos.

Verbissen und zugleich deprimiert schob ich diese Gedanken beiseite. Die Jäger vor mir bündelten ihre Kraft und ich bemerkte, dass die vier jeweils die vier Urelemente vertraten: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Und sie alle hatten vor, gemeinsam dazu beizutragen, mich aus dem Weg zu räumen. Dabei verschwendeten sie nur ihre Energie. Eigentlich konzentrierten sie sich auf die falsche Person. Durch meine Bekanntheit bei den Jägern wurde ihre Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, während die wahren Bedrohungen - wie zum Beispiel meine Mutter - freie Bahn hatten. In diesem Moment kam mir ein Gedanke. Was, wenn genau das meine Aufgabe war? Wenn genau das meine Bestimmung war? Vielleicht war es niemals vorgesehen, dass ich die Elementary mit Hilfe meiner Macht retten sollte. Vielleicht sollte ich nur als Ablenkung dienen, während die erfahreneren Elementary, oder Obscura die Jäger vernichteten.
Konnte das sein?

Die gebündelte Magie der vier Jäger vereinte sich zu einem einzigen Strahl, der genau auf mich zuschoss. Da ich weder ausweichen, noch die Zeit hatte, alle vier gleichzeitig auszuschalten, konnte ich nur noch meine Hand heben und hoffen, dass die vereinte Magie mich nicht vernichten würde. So oft meine Wunden auch heilen würden, wusste ich nicht, ob ich auch dem Tod entkommen konnte.

Wie ein Blitz schlug die gesamte Macht der Magie gegen meine unsichtbare Barrikade. Entsetzt musste ich feststellen, dass diese auch noch langsam zu bröckeln begann. Stellenweise löste sie sich und immer mehr Teilen vom Strahl gelang es, die Barrikade zu durchbrechen. Die Magie der vier Jäger brannte höllisch auf meiner Haut.
Ich schien überhaupt keine Chance zu haben, gegen die vier anzukommen. Hinzu kam noch, dass manche Jäger, die in unserer Nähe waren, auf die Idee kamen, sich den vieren anzuschließen.

Angestrengt versuchte ich all dem Stand zu halten. Allerdings wurde das zunehmend schwieriger - und unmöglicher. Je mehr Jäger sich dazu gesellten, desto mehr sanken meine Chancen, das hier unbeschadet zu überstehen. Oder überhaupt zu überstehen.

Die gebündelte Macht der Jäger war wie eine Naturgewalt. Und gegen solche kam man nicht an. Niemand. Niemals. Sie brach über mir zusammen wie ein Tsunami. Überschwemmte mich, haute mich um. Mit all seiner unglaublichen Kraft. Ich glaubte zu ertrinken. Die Schmerzen waren überwältigend. Ich spürte alles zugleich. Ich verbrannte. Ertrank, während heißes Wasser mich verbrühte. Der Wind schnitt scharf wie Messer auf mich ein, während meine Füße ihren Halt verloren und ich ins Nichts fiel. Wurde lebendig vergraben, während ich das Gefühl hatte, als würden gewaltige Gesteinsbrocken mich zerquetschen. All das passierte scheinbar gleichzeitig. Und ich schrie. Ich konnte gar nicht anders. Abrupt ließ ich die Reste meiner schützenden Wand einstürzen. Und machte alles somit schlimmer.

Ich wusste nicht, wie viele Jäger es mittlerweile waren, die sich dazu entschieden hatten, mich alle gleichzeitig mit ihren Fähigkeiten zu beschießen. Aber es kam mir vor, als hätten sich alle Jäger der Welt vor mir versammelt.

Urplötzlich verschwand dieser unglaubliche Schmerz und ich brach vollkommen kraftlos auf dem Boden zusammen. Ich kam mir vor wie eine Stoffpuppe. In meinem Kopf drehte sich alles, während die Dunkelheit nach meinem Bewusstsein griff, um es vielleicht sogar endgültig zu versenken.
Doch ich kämpfte dagegen an, zwang mich, meine Augen zu öffnen und auch offen zu halten. Meine Sicht war verzerrt. Die Farben vermischten sich, Gestalten waren unnatürlich verzogen. Doch was ich erkennen konnte, war eine lebende Fackel, die einige Meter vor mir stand. Genau zwischen der Gruppe aus Jägern und mir. Erst dann bemerkte ich, wie die Jäger langsam anfingen, Feuer zu fangen. Hektik brach aus. Schreie erklangen, während die Jäger lichterloh brannten. Die in Flammen stehende Gestalt vor mir, betrachtete das mit einer kalten Gleichgültigkeit, ehe sie sich abwandte und verschwand. Jedoch entging mir nicht, wie die flammende Gestalt kurz innehielt und einen Punkt hinter mir anvisierte.

Entkräftet schaffte ich es, mich umzudrehen und erkannte, dass mein Retter meine Mutter beobachtet hatte. Ihr war das nicht entgangen - Natürlich nicht. Wie konnte es ihr nicht entgangen sein? Die Jäger und ich hatten alle Aufmerksamkeit auf uns gezogen.
Irgendetwas in Rheas Blick weckte ein ungutes Gefühl in mir. Sie beunruhigte mich. Ihre Haltung, der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht. Zwar konnte ich nicht genau beschreiben, was genau mir dieses Gefühl gab, aber etwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Etwas hatte ich übersehen. Etwas hatten wir alle übersehen.

ObscuraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt