Kapitel 33 - Aufgeflogen?

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Hinter mir fiel die Tür laut ins Schloss. Die Elementary zuckten still zusammen. Noch immer spürte ich Liams und Desdemonas Blicke in meinem Rücken. Sie waren misstrauisch. Und ich musste wohl oder übel zugeben, dass ich es ihnen nicht einmal verübeln konnte.

Sie hatten allen Grund mir gegenüber Misstrauen zu zeigen. Die Sache vorhin mit Ariadne war nur einer der Gründe. Doch ich wollte jetzt nicht jeden Einzelnen aufzählen. Erst einmal musste ich Ariadne finden und mich vergewissern, was sie gesehen hatte. Ich musste Gewissheit haben. Es war wichtig.

Wie viel hatte sie gesehen? Hatte sie es realisiert oder nur für eine Einbildung gehalten? Ich hoffte ja noch immer, dass sie es für eine Einbildung gehalten hatte, aber ehrlich gesagt glaubte ich nicht daran. Weshalb sonst sollte sie so Angst gehabt haben?

Hatte ich ihre andere Angst herausgefunden? Eine Angst, von der sie selbst vielleicht nicht wusste, da alle dachten, Vampire und so seien ausgestorben? Ich konnte nicht zulassen, dass sie es jemanden erzählte. Es würde mich nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen, als ich es ohnehin schon war. Ich konnte es mir nicht leisten.

Mit kalten Augen schritt ich in das Gebäude, meine Schritte hallten auf dem Boden. Außer mir war hier niemand. Menschenleer. Die düstere Ausstrahlung setzte noch einen drauf. Die Atmosphäre wäre perfekt für einen Film.

Doch das Internat war riesig. Wie sollte ich Ariadne so schnell finden? Ich blieb stehen, schloss meine Augen, atmete einmal tief durch. Was sollte ich tun? Plötzlich durchströmte mich ein Gefühl. Ich ließ meine Augen geschlossen, durchforstete in Gedanken das Gemäuer und meine Gedanken führten mich zu ihr, sah sie vor mir stehen. Zusammengekauert hockte sie in einem dunklen großen Raum, der einem Dachboden ähnelte. Voller Gerümpel und alten Dingen aus einer längst vergangenen Zeit. Spinnenweben bildeten weiße, staubverfangene Schleier.

Schlagartig öffnete ich meine Augen, die für einen Moment beide blutrot erstrahlten. Doch nicht einmal einen Wimpernschlag später, waren sie beide wieder giftgrün. Als wäre nichts geschehen. Als wäre alles normal. Normal. Ein mächtiges Wort. Was konnte man schon normal nennen? Man sollte nicht zu voreilig sein, jemanden oder etwas so zu nennen. Man konnte nicht wissen, wie sehr man sich doch irrte.

Zielstrebig lief ich los, Treppen hinauf, bis zu einer schmalen, alten Wendetreppe. Es sah so aus, als wäre schon lange niemand mehr dort entlang nach oben gegangen. Doch ich wusste es besser. Ohne zu zögern trat ich auf die Treppe und ging hinauf. Unter meinen Schuhen knarzten die Stufen bedrohlich. Doch es jagte mir keine Angst ein. Niemals.

Vor mir erschien ein schmaler, dunkler Flur. Spinnenweben hingen dick von der Decke, einige der Dielen waren aus dem Boden gebrochen worden und einige der alten Gemälde hingen schief an der Wand. Eigentlich hätten mich die Gemälde nicht interessieren sollen. Doch etwas sprang mir ins Auge. Die Gemälde waren uralt, handgemalt und zeigten die Wappen der stärksten Elementary Familien.

Ein Gemälde mit schwarzem Rahmen sprang mir als aller erstes ins Auge. Ebenso war der Hintergrund dunkel gehalten, allerdings mit verschiedenen Schattierungen. Dann zeigte es einen großen, runden silbernen Mond, der hell in der Finsternis schien. Das Wappen der Lunar-Familie.

Ein zweites Gemälde, mit silbernen Rahmen war auffallend. Das Bild in dem Gemälde war einfach tiefschwarz. Allerdings waren auch dort interessante Schattierungen zu sehen. Das Wappen der Eclipse-Familie.

Doch es gab noch eines. Eines, das noch nicht allzu alt schien. Klar, es hatte auch schon mehrere Jahre hinter sich, allerdings war es das jüngste Gemälde.

Sein Rahmen war schwarz, durchzogen mit einigen Silberverziehungen. Der Hintergrund war schwarz mit Schattierungen und es zeigte einen silbern leuchtenden Mond, über den sich eine dunkle Wolke schob. Die Ausstrahlung des Bildes konnte niemand nehmen. Diese düstere und mystische Ausstrahlung, die dennoch faszinierte. Das Wappen der Lunar-Eclipses. Meiner Familie.

Die drei Gemälde hingen beieinander und darunter an der Wand war ein Schild. "Mächtigste Ghost Familien".

Von jeden Element gab es eine Familie und genau diese waren hier ausgehangen.

Ich wandte meinen Blick von den Gemälden ab und schritt den Gang entlang. Die schwere, alte Holztür kam immer näher. Dahinter war sie. Hinter der Tür.

Meine Hand bewegte sich auf die verrostete Türklinke zu. Da fiel mir auf, was wollte ich eigentlich tun, wenn ich Ariadne gegenüber stand? Wie wollte ich sie unauffällig auf meine Eckzähne ansprechen? Vor allem, würde sie mir überhaupt antworten? Sie schien ziemlichen ... Respekt vor mir zu haben.

Gedanken konnte ich mir später machen. Ich musste herausfinden, ob sie es gesehen hatte. Doch was machte ich mir da eigentlich vor? Natürlich hatte sie es gesehen. Was redete ich mir da ein? Noch entschlossener als zuvor, wollte ich die Tür öffnen. - Hätte es auch getan, hätte ich nicht plötzlich eine Hand auf meiner Schulter gespürt.

Sofort war ich in Alarmbereitschaft. Knurrend fuhr ich herum, meine Augen blitzten bedrohlich. Meine Zähne gefletscht, bereit jeden Angreifer zu zerreißen. Doch ich blickte nicht in das Gesicht eines Feindes. Ich blickte in das Gesicht von Desdemona, die mich aus weit aufgerissenen Augen anstarrte und ihren Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen hatte.

Schlagartig wurde ich blass und versteckte meine Eckzähne wieder hinter meinen Lippen. Meine Augen hörten auf zu blitzen. Scheiße. Dieses Wort beschrieb meine Situation gerade nur zu gut.

Desdemona MacKenzie war wie erstarrt. Erstarrt vor Entsetzen. Wäre es eine normale Situation gewesen, hätte ich mich amüsiert und sie damit aufgezogen. Doch nicht so jetzt. Das hier war ernst. Es war kein Spaß. Das hier konnte meinen Tod bedeuten. Wenn sie reden würde. Und dann wäre ich schon wieder auf der Flucht. Dabei hatte ich nie aufgehört auf der Flucht zu sein.

Doch nicht nur Desdemona war entsetzt. Ich ebenso. Ich hätte jetzt wirklich jeden erwartet. Von Jägern bis hin zu der Direktorin. Doch nicht sie.

Wir beide waren nicht fähig zu reden. Es war das erste mal, dass ich MacKenzie sprachlos erlebte. Und sie hatte Angst. Große Angst. Wie Ariadne. Weshalb fürchteten Elementary Vampire? Auch bei Damon hatte ich das Gefühl gehabt. Als wüsste er nicht mehr, wer ich sei, wie er mich einschätzen sollte. Er hatte am Ende nur das Monster in mir gesehen und nicht mich.

Die Angst stand ihr noch immer fest ins Gesicht geschrieben. Stumm bewegte Desdemona ihre Lippen. Ich erbleichte. "Vampir."


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