Kapitel 75.2 - Verlangen nach Antworten

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Die ganze Zeit in der wir im Auto saßen, sprach Desdemona nicht mehr mit mir. Und auch Finley konzentrierte sich darauf, mich nicht mehr anzusehen. Innerlich schmerzte es, dass sie mich ignorierten. Desdemona trug ihre Abscheu ganz offensichtlich, während Finley nicht zu wissen schien, was er nun von mir halten sollte. Immer wieder ertappte er sich selbst dabei, dass er mich über den Spiegel ab und zu beobachtete. Vielleicht redete er sich ein, dass er das nur tat, um sicherzugehen, dass ich nicht gleich auf alle losging.

Nawin war der einzige, der sich aus der ganzen Sache heraushielt. Oder er hatte einfach genug damit zu tun, die beiden bewusstlosen zu bewachen und aufzupassen, dass sie nicht wieder zu sich kamen.

Da ich anscheinend lange genug bewusstlos gewesen war, wurde es bereits schon wieder dunkel. Wir würden also noch rechtzeitig zurück zum Internat kommen. Und dort würden wir wohl noch einmal richtig ausschlafen. Hoffentlich.

Finley bog in die versteckte Einfahrt zum Internat ein. Das Auto ruckelte ein wenig, doch dann fuhr er zum Tor und der Boden wurde ebener. Ein paar Meter vor dem Tor bremste er den Wagen ab und hielt an. „So.", sagte er. „Da wären wir. Aber glaubt nicht, dass ich das noch einmal mache." Dabei warf er sowohl Desdemona, als auch mir einen kurzen Blick zu. Desdemona ignorierte das und riss die Beifahrertür auf. Sie half Nawin dabei, die beiden Gefesselten aus dem Wagen zu bekommen. Kurz darauf signalisierte das Knallen der Kofferraumtür, dass beide fertig waren. Da sie nicht auf mich zu warten schienen, sackte ich ein wenig in dem Sitz zusammen. Finley beobachtete mich durch den Spiegel.

„Ich möchte, dass du jetzt gehst.", sagte er ruhig. Betroffen und mit gesenktem Kopf nickte ich. Schweigend schnallte ich mich ab. Anschließend öffnete ich langsam die Tür. Bevor ich allerdings aussteigen konnte, meldete Finley sich noch einmal zu Wort. „Ruf mich nicht an.", sagte er.

„Ich bin kein Monster.", brachte ich die Worte leise und unglaublich zittrig heraus, ehe ich das Auto verließ und die Tür hinter mir zu knallte. Sofort ertönte das Röhren des Motors und Finley beschleunigte. Trüb sah ich dem davon brausendem Auto hinter her, das in der aufkommenden Dunkelheit zwischen den knorrigen Bäumen verschwand.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Tränen bildeten sich in meinen Augen, doch ich blinzelte sie weg. Claire. Damon. Desdemona. Finley. Sie alle hatte ich vergrault. Vielleicht sogar Hanne.

Ich wandte mich ab und sah zu Desdemona und Nawin, die schon beinahe am Schloss angekommen waren. Wieso sollte ich überhaupt mit ihnen kommen? Genauso gut konnte ich sofort in den Kerker gehen. Sie wollten meine Gesellschaft sowieso nicht. Ab jetzt würde ich nur noch das Mittel zum Zweck sein. Die Waffe im Kampf gegen die Jäger. Oder ich würde eingesperrt werden und den Kampf über im Kerker ausharren müssen. Das klang alles wieder so deprimierend. Eigentlich sollte es mich gar nicht mehr so herunterziehen, wenn so etwas passierte.

Mit gesenktem Kopf und Schuldgefühlen machte ich mich auf den Weg in den Kerker. Da es bereits abends war und ich keine Ahnung hatte, wie spät es war, vermutete ich, dass entweder alle beim Abendessen waren, oder in ihren Zimmern.

Ohne irgendwem zu begegnen, gelang ich in den Kerker und wandelte schon auf der Treppe hinunter meine Gestalt in meine eigene zurück. Der dunkle, karge Gang passte zu meiner Stimmung.

Die Tür von Damons Zelle erreichte ich relativ schnell. Vor seiner Tür blieb ich stehen. Zweifel kamen in mir auf. Er würde doch überhaupt nicht mit mir sprechen wollen. Und weshalb sollte er mir Antworten geben? Damon war ein Jäger. Ein Jäger mit den falschen Vorstellungen. Kannte er überhaupt die richtige Geschichte? Die würde er kennen müssen, wenn er mir bei meinem Problem helfen sollte. Und dieses mal würde ich ihn nicht zwingen. Dazu war ich sowieso zu ausgelaugt.

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