Kapitel 41 - Newcastle Airport

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Die beiden jedoch stiegen nicht ein, starrten mich einfach nur an. Vor allem Liam war entsetzt. Und das ließ er mich nur allzu sehr spüren. Sein Blick genügte dafür vollkommen. Er war entsetzt von meinen Fähigkeiten zur Manipulation. Dabei war das noch nicht alles, zu dem ich im Stande war. Doch das würde er lieber erst später erfahren. Viel später. Sehr viel später.

Abwartend sah ich sie an. "Na, nun macht schon! Sonst fahre ich allein!" Diese Drohung reichte aus, sodass Desdemona Liam mit ihrem Ellenbogen nicht gerade sanft in die Seite stieß. Er keuchte auf und funkelte sie wütend an. Sie zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und stieg hinten ein. Liam folgte ihr fluchend und schlug die Tür hinter sich zu. Ich stieg bei der Beifahrerseite ein und schloss die Tür.

Die willenlose Frau fuhr los und der Wagen raste über die Straße. Niemand sagte ein Wort. Vermutlich mussten beide, Liam, wie auch Desdemona erst einmal verdauen und realisieren, was sie da gerade eben gesehen hatten.

Der Wagen roch noch sehr neu. Das Leder der Sitze war straff und hatte noch nicht einmal einen Kratzer oder sonstiges. Es roch sehr nach einem Neuwagen. Musik mit einem leichten Bass wummerte leise durch die Boxen. Der ruhige Takt war irgendwie entspannend und der Bass machte die Musik dennoch sehr interessant und nicht langweilig. Ich bemerkte im Spiegel, wie Desdemona leicht mit wippte. Ihr schien der Bass ebenfalls zu gefallen.

Liam dagegen blickte mit einem abwesenden Blick aus dem Fenster, während der Wald an uns vorbei zog. Er wirkte vollkommen in seinen Gedanken versunken und ich wollte ihn auch nicht aus seinen Gedanken reißen. Also blickte ich wieder nach vorne. Ich entdeckte ein kleines Foto, das in dem kleinen Fach lag, zusammen mit ein paar Schlüsseln und Taschentüchern. Es zeigte die Frau, doch da war sie wohl ungefähr halb so alt wie jetzt. Auf dem Bild war so geschätzt siebzehn Jahre alt und neben ihr war ein gleichaltriger Junge, der ihr sehr ähnlich sah. Er war wohl ihr Zwilling. Links und rechts von den beiden waren wohl die Eltern zu sehen. Ihre Augen blickten kalt in die Kamera. Die Hände der Mutter lagen auf den Schultern der jungen Frau, während die des Vaters auf denen des Jungen lagen. Die beiden Zwillinge hoben zusammen einen vielleicht ein jährigen Jungen hoch. Seine Augen waren dunkel. Sehr dunkel. Schwarz. Sein Haar dagegen braun-rot. In manchem Licht würde sein Haar feuerrot aussehen.

Er kam mir bekannt vor. Irgendwoher. Doch mein Gehirn wollte einfach nicht darauf kommen, woher er mir so bekannt vorkam. Schon jetzt blickte er ungewöhnlich kühl und gleichgültig in die Kamera. Dabei war er erst ein Jahr alt.

Ich löste mich von dem Foto und wandte mich der Frau zu. Sie hatte dunkle Augen. Doch es waren keine schwarzen Augen. Es waren dunkelblaue. Es war ein so intensives Dunkelblau. Umrahmt wurde es von langen tiefschwarzen Wimpern, sodass es noch mehr heraus stach. Ihr Haar war dunkelbraun. Allerdings hatte es nicht einmal einen rötlichen Schimmer. Sie trug dunkle Klamotten. Ihr dunkles Haar war zusammen gebunden, damit es ihr nicht immerzu in das Gesicht fiel. Dennoch hatte sich eine einzelne Strähne aus ihrem Zopf gelöst.

Sie hatte etwas Kaltes an sich. Und auch etwas Gefährliches. Ein ungutes Gefühl überkam mich wie Schüttelfrost. Ich versuchte es zu ignorieren, doch ich konnte es nicht. Ich wollte unbedingt wissen, wer sie war. Doch ich ließ es sein. Vielleicht täuschte ich mich auch einfach. Also zwang ich mich, wieder gerade aus zu sehen, doch dabei fiel mein Blick wieder auf das Bild. Ihr Zwilling glich ihr wie ein Spiegelbild. Wenn man mal die Tatsache ignorierte, dass er ein Junge war.

Die Mutter hatte rötliches Haar, das ihr in sanften Wellen über die Schultern floss. Ihre Augen hatten die selbe Farbe, wie die der Frau. Es war das selbe faszinierende Dunkelblau.

Der Vater dagegen hatte dunkelbraunes Haar und schwarze Augen. Er hatte die selben Augen wie der kleine Junge.

Wieder zwang ich mich, gerade aus zu sehen. Die leere Straße war zu einer gut befahrenen Straße geworden und der Wald war durch Häuser ersetzt worden. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Mein Zeitgefühl schien sich verabschiedet zu haben. Wir waren mitten in der Stadt.

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