Träume, Priester und Dämonen

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         Anas Psychologin hatte eine gute und plausible Erklärung dafür, dass sie Dinge sah, die andere nur aus ihren Träumen kannten. Traumatisches Erlebnis als Kind, das sie unterdrückte. Die blühende Fantasie eines Teenagers, dem Anschluss fehlte.

Diese Erklärung versagte allerdings, wenn diese Dinge blaue Flecken auf Anas Haut hinterließen. Träume sollten der Ort sein, an dem man sich sicher fühlte, auch wenn ein wahnsinniger Typ mit Stühlen warf. Für Ana waren sie das nicht.

Als Ana bewusstwurde, dass das einer von diesen Träumen war, überlegte sie auch, einen Stuhl zu werfen. Es war mehr Frust als die Hoffnung, dass der Traum tatsächlich verschwinden würde. War ein bisschen Schlaf zu viel verlangt? Ein klein wenig Normalität? Ausgerechnet jetzt...

Obwohl Kerzen in zwei Schalen von der Decke hingen, war der Raum allein von dem Mondlicht erhellt, das durch eine Kirchenrose an der Kopfseite schien. Es erleuchtete einen Schreibtisch, der erhöht auf einem steinernen Podest stand und unter offenen Büchern begraben worden war, sowie einen kunstfertigen Teppich, auf dem eben jener Stuhl lag, den nicht Ana geworfen hatte.

Von Anas Standpunkt aus, einem Balkon links von dem Fenster, erkannte man kaum die Buchregale auf der anderen Seite des Raumes, so dunkel war es hier drinnen.
Sie wusste trotzdem, dass sie nicht alleine in der Bibliothek war. Offensichtlich.

Er kauerte vor den Vitrinen, das Gesicht in seinen Händen vergraben, unwissend, dass Blut von einem Schnitt in seinem Arm auf den Boden tropfte. Er hatte sich die Wunde beim Wurf des Stuhls zugezogen und eine Spur aus rot schimmernden Tropfen hinterlassen.

Idiot.
Er tat ihr trotzdem leid. Obwohl er bestimmt zehn Jahre älter war als sie, erinnerte sie die Geste an die Hilflosigkeit eines Kindes. Jemand, der weder weiter noch wohin mit seinen Gefühlen wusste.

Ana kannte dieses Gefühl. Es knüllte ihren Magen zusammen wie ein verworfenes Kunstwerk, in das jemand zu viel Zeit gesteckt hatte. Aber sie konnte ihm nicht helfen und sie brauchte Schlaf. Wenn Judy herausbekam, dass die Schlafmedikamente jetzt auch nicht mehr wirkten...

Aber er sah so alleine aus.

Vor Jahren war es noch immer derselbe Traum gewesen. Oder weniger derselbe als ein fortlaufender Traum. Dann hatte man ihr Medikamente gegeben. Und jetzt wusste sie nachts nie, ob sie träumen würde oder nicht.

„Adriel?"

Ana schreckte zusammen, als sich mit dem Namen die schmale Tür unter ihrer Balustrade öffnete und ein Mann in schwarzer Kluft den Raum betrat. Eine einzelne Kerze in der Hand, schritt er selbstverständlich in die Mitte des Mondlichtzirkels, als wäre er hier zuhause.

Ihm folgte, geduckt wie ein getretener Hund, ein Junge, den Ana kaum älter als sich selbst geschätzt hätte. Und obwohl er seinen Kopf zwischen die Schultern gezogen hatte, als wolle er nicht gesehen werden, musterte er den Raum ganz genau.

Für einen kurzen Moment blieben seine Augen auf ihr hängen, als könne er sie hinter seinen kreisrunden Brillengläsern sehen. Etwas, was bei all dem Wahnsinn noch nie geschehen war. Und als erinnere er sich just in dem Moment ebenfalls an diese ungeschriebene Regel, huschte sein Blick weiter und endeten bei dem sitzenden Mann.

Der wiederum tat so, als wäre er immer noch alleine.

Niemand saß auf dem Boden, die Ellenbogen auf den Knien und den Kopf in den Händen, weil er Gesellschaft wollte. Aber ihn fragte anscheinend auch niemand.
Ana seufzte und stieg die hölzerne Treppe zu ihnen hinunter, während der alte Mann seinen Mantel abstreifte und dem Jungen in die Arme drückte.
Er entblößte dabei nicht nur eine mittelalterliche Mönchskutte, die Ana im Mondlicht erschreckend schaurig fand, sondern auch noch zwei muskulöse Arme, die bis zu den Ellenbogen von Tattoos bedeckt waren. Es waren merkwürdige Symbole, die Ana nichts sagten, aber einen interessanten Stilbruch zu ihren üblichen Träumen abgaben. Dr. Neill würde damit bestimmt Spaß haben. Vielleicht konnte sie ja ein Buch über Ana schreiben.

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWhere stories live. Discover now