Die Pilze waren doch nicht essbar...

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Ihre Stimme war glockenhell über das Murmeln der dutzend Gespräche. Weit entfernt und so leise, dass Ana sie beinahe verpasst hätte. Ihr Kopf schnappte nach oben, als säße Cassy ihr direkt gegenüber. Doch die Bank war leer.

„Nicht irgendeine Geschichte. Die Geschichte der gespaltenen Stadt."

Anas Herz setzte einen Schlag aus. Ihr Blick flog raus aus dem Fenster, sicher, dass sie Cassys kleine Gestalt dort sehen musste. Doch die Straße war verlassen, erhellt durch die Fenster und einzelner Laternen, die halb vom Nebel verschluckt wurden. Cassy konnte nicht hier sein. Aber der Gedanke machte keinen Unterschied. Der drahtige Otter war wieder in ihrer Hand. Sie hatte nie herausgefunden, warum sie immer von derselben Stadt geträumt hatte.

„Erzähl mit von Lady DeCries und ihrem Hofstaat an Verbrechern..."

Warum konnte sie sie hören? Instinktiv sah Ana sich weiter um. Nach der Quelle dieser Erinnerung. Nach Cassy. Im Aufstehen sah sie aus dem Augenwinkel wie Kaïa versuchte, sich aus ihrem Gespräch zu befreien und zu ihr herüberzukommen. Doch Ana war schneller. Ihre Kapuze fiel zurück und die Leute wurden ruckartig stumm. Einzelne erhoben sich von ihren Plätzen, doch Ana setzte sich bereits in Bewegung.

Cassy konnte nicht hier sein. Aber Ana hatte ihr Leben lang Dinge gesehen, die nicht da waren. Der Otter knackte unter ihrem klammernden Griff. Und Ana lief los. Ignorierte die Männer, die zu ihren Waffen langten, als sie sich zwischen ihnen hindurch schob. Auf die Tür zustürzte, als könne sie durch sie hindurch nach Hause kommen. In ihre Welt.

Sie wusste, dass es nicht möglich war, doch der stechende Schmerz in ihrer Brust schob sie vorwärts. Wenn sie nur einen Blick auf Cassy erhaschen konnte... selbst, wenn es nur eine Halluzination war...
Kälte schwang ihr entgegen, als sie die Tür öffnete und hinaustrat.

Schnee knirschte unter ihren Schuhen, die Kälte ein schneidender Kuss auf der Haut. Sie hörte Kaïa hinter sich ihren Namen rufen, aber sie konnte noch nicht zurückkommen. Nicht, wenn eine Chance bestand, dass sie Cassy sehen würde. Suchend stolperte sie mitten auf die Straße, die Augen dazu zwingend, dass sie besser in der Dunkelheit sahen.

„Ana!" Kaïas Ruf hallte über die vielen Köpfe hinweg, die ihr nach draußen gefolgt waren. Gleichzeitig eine Bitte und eine Drohung an jeden einzelnen von ihnen, zu ihren Waffen zu greifen.

Ana drehte den Kopf von links nach rechts, in der Hoffnung auch nur ein Wispern von Cassy einzufangen, dass ihr den Weg zeigen würde. Doch da war nichts. Nur kollektiv angehaltener Atem, während sie vor ihnen allen den Verstand verlor.

Im Angesicht der leeren Straßen, drehte Ana sich zu Kaïa um. Was sollte sie ihr sagen? Dass sie gerne ihr Leben riskierte, wenn sie Cassy nur noch einmal sehen würde? Doch jede Erklärung wurde überflüssig, als sie die Blicke der Versammelten sah.

Da standen bestimmt zwei Dutzend Männer zwischen ihr und Kaïa. Es war schwer, im Halblicht ihre Gesichter zu sehen. Kaïa versuchte, sich zwischen ihnen hindurchzuschieben, ihre Messer bereits in den Händen. Doch es war unmöglich. Mit grober Gewalt wurde sie zur Seite geschoben, ein Hieb direkt auf ihr Auge, das sie einige Schritte zu einem der Fenster des Wirtshauses taumeln ließ.

Mit dem Rücken ihrer Hand wischte sie darüber und die Bewegung verrückte ihre Maske nur ein kleines Stück. Der Kerl, der ihr am nächsten stand, machte einen schnellen Schritt zur Seite, doch der große blau-tätowierte Wirt starrte auf Kaïa hinab, als hätte sein Blick allein Gewicht genug, sie auf den Knien zu halten.
„Du hast uns verraten, Kaïa."

Blut rann unter ihrer Maske hervor und tropfte zwischen ihnen auf den gefrorenen Boden. Sie ignorierte es, als sie sich an der Hauswand wieder aufrichtete.
„Sie gehört nicht dir, Patalyr."

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt