Handfeger und Fluchtpläne

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          Ana schlich durch den Gang oben im Dachgeschoss, ihre Mütze unter ihren Arm geklemmt und ein Bündel in der Hand, Monokular, Walnuss und Cassys Otter sicher darin verstaut. Schon wieder. Sie konnte nicht glauben, dass sie es schon wieder tun würde. Ihre Schuhe waren zu groß und machten merkwürdige Geräusche bei jedem Schritt, der in die verschlafene Stille hinaus hallte.

Sie schlich an dem verlassenen Zimmer vorbei, keinen einzigen Gedanken an Grimmons oder Buchtruhen verschwendend. Sie würde nicht herausfinden, was sie mit dieser Stadt verband. Dafür würde sie leben. Das war ein fairer Deal.

Als sie die Treppe hinunter erreichte, hielt sie instinktiv die Luft an. Ihr Herzschlag trommelte durch ihren Körper. Sie hätte es wirklich gerne gewusst. Nur noch zwanzig Stufen-...

„Es wird nicht funktionieren." Ana fuhr herum, verlor das Gleichgewicht und wäre sicherlich rückwärts die Treppe hinuntergefallen, wenn Lucah sie nicht im letzten Moment am Arm gepackt hätte. Mit einer erschreckend leichtfertigen Bewegung zog er sie zurück und stellte sie wieder auf die Füße.

Der Stallmeister trug über seiner Schulter einen größeren Seebeutel als sie- bereit für seinen Landausflug. Kritisch musterte er ihr Erscheinungsbild von den hochgesteckten Haaren bis zu der zu großen Hose und schüttelte den Kopf. Ohne ein weiteres Wort drückte er sich an ihr vorbei und polterte die Treppe hinunter.

Ana lief komplett rot an. Noch war sie nicht gescheitert. Lucah hielt sie nicht auf. Sie hatte es auch nicht erwartet. Nach ihrer spontanen Flucht vom Marktplatz, bei der sie ihn förmlich nach Hause gezerrt hatte, hatte er keine Fragen gestellt. Er hatte ihr lediglich sein Messer gereicht und irgendwo aus seinem Stiefel ein Neues gezogen, das jetzt wie gewohnt in seinem Gürtel wartete.

Eilig versuchte sie ihm hinterher zu kommen. Vielleicht konnte er sie ja mitnehmen?
„Du musst mir helf-... Lucah! Lucah warte!", rief sie ihm im Flüsterton hinterher, doch der Stallmeister ignorierte sie.

Sie musste von hier fort. Ob Lucah das für gut befand, oder nicht. Adriel hatte sich geirrt. Es gab auch hier Leute, die sie umbringen wollten. Und egal wie der Jäger sie gefunden hatte, sie würde ihm keine Chance dazu geben.
Entschlossen hopste sie die Treppe hinunter, die knarrenden Stufen vermeidend, bis-...

„Ana! Gut, dass du wach bist, ich- sind das Männerklamotten?"

Das war nicht Lucah.
Ana blieb angewurzelt auf der untersten Stufe stehen. Es war eine winzige Schnittstelle zwischen zwei Treppen, dem Bediensteteneingang und der Küche. Wenn sie den Arm ausstreckte, konnte sie die süße Verführung der Freiheit in Form der Türklinke berühren. Sie hörte bereits die ersten morgendlichen Stimmen der Raben, Dienstboten und Laufburschen. Das Rauschen der Wellen.

Das Problem stand in der Tür nebenan. Die Tür, die bereits geöffnet war und in die Küche des DeCries-Haushaltes führte. Koch hatte Schokoladen-braunen Augen, die die Schärfe von Chilischoten besaßen, wenn sie Ana vor ihrer Zeit auf der Treppe entdeckten.
In Männerklamotten.

Kochs Gesicht war ein Abbild des Entsetzens.
„Was bei dem vergessenen Caraiden hast du vor?" Es war offensichtlich. Und Koch wusste das auch. Aber ihr Kopf war offensichtlich zu dieser Uhrzeit noch unfähig korrekte Rückschlüsse zu ziehen.

Hinter ihr schlurfte Lucah durch die Küche, ein ganzes Brot unter seinen Arm geklemmt. Er warf Ana nur einen kurzen, vielsagenden Blick zu. Ana wollte ihn treten. Er hatte gewusst, dass Koch schon wach war.

Aber weil selbst geringe Gewalt nicht gerne in ihrer Akte gesehen wurde, setzte sie stattdessen den noch angehobenen Fuß ab.
„Du musst mir helfen." Koch war nett. Koch hatte ebenfalls keine Fragen gestellt, als Ana ihr nicht die Zuckerrosen vom Markt gebracht hatte und war stattdessen selbst noch einmal runter gegangen, während Lucah sie in ihr Bett gebracht hatte.

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWhere stories live. Discover now