Berechtigtes Interesse

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          Anas Knie krachten auf die unebenen Pflastersteine, dicht gefolgt von ihren Händen. Staub wirbelte auf und maskierte für einen kurzen Moment Kaïas dunkle Gestalt, die sich zwischen den letzten zwei Häusern der Straße zu ihr umdrehte. Ihre schwarze Kapuze war zurückgefallen und offenbarte eine glänzende Stirn.

In wenigen Schritten war sie wieder bei Ana und zog sie mit erschreckender Leichtigkeit auf die Füße.
„Wir müssen uns beeilen." Ihre Finger ließen Anas Arm nicht los und zogen sie einige Schritte aus der Stadt hinaus zwischen die Bäume, ehe das Mädchen sich losmachte.

Alles tat weh. Ihre Haut spannte bei jeder Bewegung, Muskeln ächzten schlimmer als nach einem Marathonlauf. Aber das war nicht der Grund, warum sie nicht aufhören konnte zu weinen. Er hatte sie einfach umgebracht. Die Frau, die sie hatte retten wollen. Der Gedanke löste eine Reihe von Bildern aus. Blut auf Pflastersteinen. Die Schreie der Leute. Sie hallten immer noch in Anas Ohren nach. Ihre Gedanken drehten sich zu schnell, angefeuert durch das hektische Trommeln ihres Pulses.
„Wa-...", ihr keuchender Atem schnitt ihr selbst das Wort ab. Ihre Stimme klang schrill. Panisch. Wahnsinnig. Ana schluckte sie herunter, verzweifelt um Kontrolle ringend. "Was ist gerade passiert?"

Kaïa ließ ihr keine Zeit. Ihr Griff wie eine eiserne Faust zog sie Ana weiter, egal ob ihre Füße liefen oder schliffen. Sie sah dunkler aus zwischen den Bäumen, als zöge sie die Schatten um sich herum an. „Das erkläre ich dir, wenn wir aus seinem direkten Radius verschwunden sind. Jetzt gerade ist es wichtiger, dass wir verschwinden, oder er wird dich einholen und dann-..." Sie stoppte ihre Worte, unwillig den Satz zu Ende zu bringen.

Sie sah weder nach links noch nach rechts. Tannenäste strecken sich nach ihr aus und verloren Nadeln, als sie sich ungebremst zwischen ihnen hindurch schob. Unablässig stampfte sie durch Moos und Farne. Das Licht der goldenen Adern verschwand mit ihnen in die Bäume hinein, bis nur noch das Zwielicht unter dem Blätterdacht vorherrschte.

Ana hatte Mühe, nicht erneut hinzufallen. Wurzeln und Äste wuchsen dicht an dieser Stelle des Waldes. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Keine Ahnung, was mit ihr passiert war. Er hat sie umgebracht. Was für eine Art Monster brachte eine alte Frau um? Die Gedanken ließen sie schwindeln und sie fiel ein zweites Mal.

Allein Kaïa, die ihren Arm hochhielt, verhinderte, dass ihr Gesicht im Waldboden einschlug.
„Reiß. Dich. Zusammen." Sie betonte jedes Wort, während sie Ana erneut auf die Beine half. Aber sie sagte es nicht wie ihr Schulleiter oder ihre Lehrerinnen- eine kaum verhüllte Drohung, wenn sie ihre Visionen ihre Nerven blank legten. Sie flehte auch nicht wie Judy oder schüttelte dabei den Kopf wie Nele. Sie sagte es, wie ein Befehl.

... dem Ana wirklich gerne gefolgt wäre. Wirklich. Ihre Atmung ging stoßweise. In ihrer Welt hätte sie kaum noch die Energie gehabt, jetzt die Bilder auf Abstand zu halten. Doch in dieser Welt kamen sie nicht. Oder sie konnte sie nicht von allem anderen unterscheiden. Sie wusste nicht, ob die sanft leuchtenden Pilze an der Baumrinde echt oder nur ein Hirngespinst waren. Ob die Tannennadeln immer wieder sanft die Farbe änderten, oder sie vollkommen den Verstand verlor. Und was für ein Mensch brachte einen anderen mitten auf einem Marktplatz um? Vor Zuschauern?

Sie musste zurück. Sie musste heim.

Kaïa legte beide Hände auf ihre Schultern und drückte Ana runter, bis sie beide auf Augenhöhe waren. „Prinz Adriel hat gerade deine Chance auf eine Heimreise umgebracht. Aber ich kann dir helfen, die anderen Seelenweberinnen zu finden." Sie sprach eindringlich, ging sogar ein Stück in die Knie, um Ana zum Blickkontakt zu zwingen.

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWhere stories live. Discover now