Wieder an Bord

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          Der Kapitän stellte keine Fragen. Lucah meldete sich als Stallmeister von Lady DeCries an und das war alle Erklärung, die er benötigte. Er erklärte, dass ihre Überreise nach Passiopat zwei Tage dauerte und für sie Hängematten aufgehangen werden würden, die sie unter Deck nutzen durften.

Ana stand an der Reling und starrte hoch zum Mond. War es merkwürdig, dass ihr das Rauschen der Wellen inzwischen so vertraut war? Dass sie nur die Augen schließen musste und sich vorstellen konnte, dass Adriel hinter ihr auf Deck über dem Kartentisch gebeugt stand?
Aus irgendeinem Grund hatte Gabbys Auftauchen ihr Heimweh erneut erweckt und sie fragte sich unwillkürlich, ob Judy, Marcus und Cassy denselben Mond sahen.

Es waren Monate seit ihrem Verschwinden vergangen und sie hatte genug Krimi-Serien und Mystery-Romane verschlungen, um zu wissen, wann man die Suche nach vermissten Personen aufgab. Die Vorstellung brach ihr das Herz. Sie wollte nicht, dass sie aufgaben.
Ihr Blick sank zu ihren verdreckten Händen, in denen sie Cassys Otterumklammert hielt. Einzelne drahtige Barthaare hatten sich gelöst und ein Bein war verbogen.
Aber sie war noch hier. Sie war noch am Leben.

In Gedanken versunken, steckte sie den Otter zurück, holte das Monokular heraus, das Sir Ranwic ihr geschenkt hatte und richtete es auf den Mond. Beruhigend summend, sprang es in Bewegung.
Der Mond leuchtete. Es war eine sehr weit entfernte Aura aus einem hellen Blau, doch das Glitzern verriet alles.

„Es gibt einen Weg, wie ich Rea ihren Körper zurückgeben könnte."

Gabby stand so dicht hinter ihr, dass Ana beinahe das Monokular fallen ließ. Mehrere Flüche unterdrückend, drehte sie sich zu der Weltenwandlerin um.
„Wirklich?" Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Salems wachenden Blick in ihre Richtung, dann ebbte der kurze Funke Begeisterung wieder ab, „Wird mir der Weg gefallen?"

Ein halbes Lächeln zog Gabbys Mundwinkel hoch und sie stopfte ihre Hände in den Bund ihres Rockes, als wäre es ein Westerngürtel.
„Kommt drauf an: Wie stehst du zu mehrfachem Mord?"

Ana verzog das Gesicht und Gabby wurde sofort wieder ernst.
„Wenn ich aus dieser Welt wieder verschwinde, besteht eine Chance, dass die alte Seele zurück in diesen Körper kommt. Je schneller ich verschwinde, desto besser."

Gegen Anas Willen schlug ihr Herz schneller.
„Eine Trägerin wäre kein Problem..."

„... aber ich würde einen neuen Körper in einer anderen Welt beanspruchen."

Ana öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Vielleicht wussten die Seelenweberinnen einen Weg? Ein Stein legte sich in Anas Magen. Wenn sie zurück in ihre eigene Welt wollte, musste sie einen Mord in Kauf nehmen. Die Vorstellung drehte ihr den Magen um. Aber Rea wäre frei.

Salem ersparte ihr eine Antwort, indem er einen Reisebeutel zu ihnen herüber hievte und in Richtung Luke nickte.
„Möchtest du dich nützlich machen?", fragte er Gabby in dem süßesten Sarkasmus, den Ana jemals gehört hatte. Aber seine blauen Augen brannten noch immer vor Jahrzehnte altem Zorn.

Ohne eine Antwort bückte Ana sich nach dem Sack und zog ihn zu sich rüber.
„Ich habe Geschichten über die Jäger Gilde gehört. Ihr habt eine lange Vergangenheit von Mord an unschuldigen Trägern, wie Gabbys „, sagte sie beiläufig, einen warnenden Blick an Salem gerichtet.

„Du musst mir mehr davon erzählen, ich bin noch nicht so lange bei ihnen, als Teil dieser Praxis zu sein", gab der blonde Junge glatt zurück, „Aber vielleicht kann Gabriel hier uns mehr erzählen. Das war sicherlich nicht der erste Trägermord, den du miterlebt hast."

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt