Geöffnete Augen

218 44 7
                                    

꧁꧂

          Regen prasselte auf die Kapuze seines Mantels und lief in Rinnsalen sein Gesicht herunter. Mika'il stand bewegungslos unter den jagenden Wolken und starrte auf den Hang vor ihm hinunter.
Das Ende des Weltenwandlers wird eingeläutet durch den Dank eines Feindes...'

Ein weiteres Dorf nur noch ein großer Rußfleck zwischen halbertränkten Wiesen und ein Friedhof davor. Kreuze aneinandergereiht wie Soldaten, zusammengebastelt aus den Ruinen der Häuser dahinter.

Wind frischte auf und zog ihm die Kapuze vom Kopf. Sein Pferd wurde unruhig, als könne es die Katastrophe in der Luft riechen. Tropfen wuschen schwarz verkohlte Tränen von den Kreuzen. Dutzende Krähen dazwischen. Sie pickten am Boden und an dem zerfallenden Holz und beäugen Mika'il mit unausgesprochenen Fragen. Der Schatten auf dem Schicksal dieses Landes... Wie sollte er es jetzt noch anzweifeln?

Menschen waren ihm egal. Er hatte es Ana dutzende Male gesagt. Warum ging er jetzt nicht einfach weiter?
Es waren 34 Gräber. Er hatte sie sieben Mal gezählt. Es war ihm egal. Pfützen dazwischen warfen das Bild des grauen Himmels zurück, aber er bildete sich ein, darin die Gesichter von Gestalten darunter zu sehen. Bauern, Frauen, Kinder. Mechanisch setzte er sich in Bewegung. ‚Menschen sterben früher oder später', hatte er zu ihr gesagt. Es war ihm egal, was der Usurpator tat. Er musste von hier verschwinden. 

Jemand hatte ein winziges Holzpferd an ein Kreuz gelehnt. Er ging daran vorbei. ‚Irgendwann werden die Menschen sterben und du nicht. Du bist der Einzige, der sich erinnert und die Geschichte erzählen kann.'

Es wurde schwierig, zwischen den Gräbern Luft zu holen. Die Raben gaben vorwurfsvolle Laute von sich und flatterten einige Meter weiter, ihr Gefieder ein bedrohliches Rascheln in der Luft.

Mika'il erhaschte sein eigenes Spiegelbild in einer der Pfützen und blieb stehen. Ein Siegel, das langsam gebrochen wurde. 

Der Junge, dessen Körper er gestohlen hatte blinzelte ihn an. Seine Augen waren beinahe schwarz unter dem tobenden Himmel. Seine Haare klebten ihm im Gesicht wie Adern. Er bewegte die Lippen in einer stummen Nachricht, die Mika'il nicht verstand, doch sie jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Er packte die Zügel fester.

Der Junge wiederholte seine Nachricht. Eindringlich. Flehend. Mika'il sah weg. Es war nicht seine Verpflichtung, sie alle zu retten. Er hatte diese Leute nicht ermordet. Doch die Stimme des Jungen schaffte es in sein Gewissen: Nur weil er das Schwert nicht geführt hatte, hatte er es doch gezogen.

Weltenwandler werden nicht gemacht. Sie werden geboren.'
Mit einem Ruck setzte er sich wieder in Bewegung, doch sein Spiegelbild verfolgte ihn durch die Gräber. Es flüsterte die Namen von all den Leuten, die er in seinen hundert Leben verraten hatte. Die er verloren hatte, selbst wenn er es versucht hatte. Mika'ils Kiefer knirschte mit jeder weiteren Erinnerung.

Ana. Es war der letzte Name einer langen Liste. Er hallte besonders lange nach. Ein Experiment hatten sie sie genannt. Mit dem Ärmel wischte er den Regen aus seinem Gesicht, nur um im nächsten Moment den Kopf in den Nacken zu legen. Er brauchte die eisige Kälte auf seiner Haut. Er brauchte Klarheit.

Um ihn herum heulte der Wind untermalt von den Rufen der Krähen. Mika'il schloss die Augen. „Du hast mir bereits ein Versprechen gegeben." Seine Schultern sackten ab. Welchen Nutzen hatte es, wenn die Seelenweberin einfach den nächsten Weltenwandler anheuern und sie zurückholen konnten? Wie oft würde sie diese Reise noch überleben? Seine Finger lösten sich aus den Fäusten, die er geballt hatte. ‚Ana war unser Versuch, die Konsequenzen des Drachen abzuwenden. Jemand, dem das Schicksal des Landes ins Blut gewebt wurde.'

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWhere stories live. Discover now