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Trauer
Jahr 2018, April - Korea

„Nein, dann mache ich es eben selbst." Ohne weiter zu zögern, reiße ich kurzerhand die Schläuche von meinem Arm ab, woraufhin Jisung erschrocken zurückzuckt.

Hyunjin PoV:

„Jetzt lass mich endlich zu Jeongin." Sichtlich angespannt beiße ich mir ungeduldig auf die Unterlippe und sehe den Älteren dabei genervt an. Jetzt ist Changbin doch hinüber gekommen, dabei sollte er bei Jeongin bleiben. „Gleich. Du bist selber Schuld, dass du dir die Schläuche einfach rausgezogen hast. Durch das Gift schließen sich deine Wunden deutlich langsamer als sonst", erwidert der Ältere vorwurfsvoll, während er den Druckverband an meinem Arm festzieht. „Und bevor ich dich zu Jeongin ins Zimmer lasse, isst du erst einmal etwas und beruhigst dich gefälligst. Bei seinem Zustand könnte jegliche Art von Stress verheerend sein."

„Ist ja gut." Leise murrend verdrehe ich kurz unauffällig die Augen und sehe dann auf meinen Arm hinunter. Es war wohl wirklich keine so gute Idee die Schläuche einfach zu ziehen. In der Zeit in der er bei mir ist, kann er sich nicht um Jeongin kümmern. „Ich würde dir nach dem Essen auch ganz gerne noch ein wenig Blut abnehmen." „Tu was du nicht lassen kannst." Ich habe doch ohnehin keine andere Wahl. Wenn ich nicht das mache, was er will, komme ich nie zu Jeongin.

„Jetzt sei nicht so." Das muss er gerade sagen. Ich finde, ich bin den Umständen entsprechend noch sehr geduldig. „Was würdest du denn machen, wenn Felix an seiner Stelle wäre, hm? Du würdest garantiert nicht auf das hören, was andere dir sagen. Das hast du nie." Er hat immer das gemacht, was er wollte. Chan hat bei ihm förmlich gegen eine Wand gesprochen. Selbst die Standpauken im Anschluss haben ihn nicht interessiert. Ich hingegen habe früher immer angefangen zu weinen, wenn Chan richtig sauer auf mich war.

„Ich wusste wenigstens, was ich tue." Ist das sein Ernst? Er hatte wohl eher mehr Glück als Verstand. „Ach ja? Warum hast du ihn dann damals im Stich gelassen?" Meinetwegen hält er mich für nachtragend, aber diese Aktion werde ich ihm nie verzeihen und ich werde ihn immer wieder daran erinnern. Felix hat seinetwegen so sehr gelitten. Er war zu dem Zeitpunkt seine einzige Bezugsperson und er haut einfach feige ab.

„Ich war verwirrt und es war ein Fehler. Ich habe daraus gelernt und es wird nie wieder vorkommen", erwidert er zähneknirschend, wobei ich ihn mit zusammengekniffenen Augen böse angucke. Ich hoffe doch sehr, dass er es auch wirklich so meint. Andernfalls bekommt er es mit mir zu tun. „Jetzt iss etwas, dann kannst du in einer Stunde zu ihm. Ich passe in der Zeit auf, dass ihm nichts passiert. So wie du damals auf Felix aufgepasst hast." „Hmm."

„Ich bin übrigens froh, dass du jemanden für dich gefunden hast", unterbricht er nach einer Weile die angespannte Stille zwischen uns und reißt dabei einen kleinen Schlitz in die Blutkonserve, welche Jisung zuvor vorbeigebracht hat. „Felix hat wirklich einen eigenartigen Einfluss auf dich, weißt du das?", murre ich leise und sehe dabei mit einem anfangs skeptischen Blick zu ihm hinauf. Früher hätte ich es für unmöglich gehalten, diese Worte einmal von ihm zu hören zu bekommen.

„Was soll das jetzt heißen? Trink dein Blut und gib Ruhe." Das klingt schon wieder viel mehr nach ihm. Bloß nicht zu freundlich werden. Andere könnten ja sehen, dass er eventuell doch einen weichen Kern hat. „Ich bin auch froh für euch." Das bin ich wirklich. Es war nicht einfach, doch jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich mich wirklich für sie freuen kann. Felix fühlt sich bei ihm wohl und er hilft Changbin im Gegenzug dabei, endlich aus sich herauszukommen. Auch wenn ich es schon ein wenig amüsant finde, wie menschlich Changbin inzwischen geworden ist.

„Gut, dass wir das jetzt auch geklärt haben. Gib mir eine halbe Stunde nachdem du aufgegessen hast Bescheid. Wenn dein Zustand dann stabil ist, bringe ich zu Jeongin. Bis dahin werde ich mich jetzt wieder um ihn kümmern." Ohne mich direkt anzusehen, hält er mir kurzerhand die Blutkonserve direkt unter die Nase, weshalb ich diese zögerlich entgegen nehme. „Hm Danke." Es kommt mir fast wie eine Ewigkeit vor, dass ich das letzte Mal Blut getrunken habe.

Seungmin PoV:

„So, das wäre geschafft." Mit einem traurigen Gesichtsausdruck legt Chan langsam einen kleinen Strauß Blumen auf das noch frische Grab und weicht dann leise seufzend ein paar Schritte zurück. Auch wenn er es nicht zeigt, ihm macht der Verlust von Woojin eindeutig am meisten zu schaffen. Er war es, der Chan damals gerettet und aufgezogen hat. Er war wie ein großer Bruder für ihn. Sie standen sich so nah, dass Chan es sogar spüren konnte, als Woojin von uns gegangen ist.

„Ich werde dann jetzt zurückgehen und nach Jisung und den anderen gucken." Sichtlich mit den Tränen am kämpfen, klopft Minho flüchtig den Dreck von seinen Händen und wendet sich dann schnell von uns ab. Er war noch nie jemand, der seine Gefühle gerne vor anderen gezeigt hat. „Ist in Ordnung", murmelt Chan leise, als Minho sich bereits von uns distanziert hat. Er steht immer noch vollkommen neben sich, was aber auch verständlich ist. Ich denke, er weiß nicht so recht, wie er mit dieser Situation richtig umgehen soll.

„Es ist ok zu weinen." Während Chan weiter regungslos auf das Grab starrt, rolle ich langsam mit meinem Rollstuhl an ihn heran und greife zögerlich nach seiner Hand. So schwer es mir auch selbst fällt, dieses Mal muss ich für ihn da sein. „Wie geht es deinen Verletzungen?" Mit leicht stockender Stimme sieht Chan allmählich zu mir hinunter, wobei ich ihm mit meinem Daumen behutsam über den Handrücken streiche. „Es ist ok, du musst gerade für niemanden stark sein. Lass es raus."

„Er ist tot, Seungmin. Er ist nicht mehr da." Mit einem Mal lässt Chan sich schluchzend neben mir auf die Knie fallen, weswegen ich seine Hand nur noch fester gedrückt halte. „Ich weiß und es tut weh." Nun selbst mit Tränen in den Augen, drehe ich mich mit meinem Rollstuhl langsam in seine Richtung und beuge mich zu ihm hinunter, bevor ich ihn vorsichtig in die Arme nehme. „Es ist alleine meine Schuld. Ich hatte die Verantwortung für unsere Gruppe und es ist einfach alles schiefgegangen."

„Hör auf so zu denken. Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt. Wir haben zwar jemanden verloren, aber wir haben alle unser Bestes gegeben. Dich mit eingeschlossen. Es war eine Situation, die deutlich schlimmer hätte ausgehen können." Ich kann verstehen, warum er in dieser Situation zweifelt. Aber es war nun einmal ein Kampf, auf den wir uns alle gemeinsam eingelassen haben, obwohl wir genau wussten, wie gefährlich es werden wird.

„Ich will ihn einfach wieder zurückhaben." Leise schluchzend lässt er auf einmal seinen Kopf auf meinen Schoß fallen, wobei ich ihn weiter fest in den Armen halte. Es tut so wahnsinnig weh, ihn so leiden zu sehen.

Fortsetzung folgt...

***
Armer Chan :c

Ich werde nach diesem Buch wahrscheinlich erst einmal eine Pause von Bloodline nehmen, aber eigentlich steht noch ein kleines Bonus Buch zu Seungmin und Chan in Planung :3

Protector // Hyunin {Bloodline Trilogie}Where stories live. Discover now