Kapitel 42

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Mit noch halb geschlossenen Augen saß ich zusammen mit Carter und Simon am Frühstückstisch.
Tante Angelina stand schon seit knappen zwei Stunden in der Küche um das Essen für heute Abend vorzubereiten und hatte auch meine Mom eingespannt. Dad war vor wenigen Minuten widerwillig mit Onkel Thomas verschwunden und der Rest schlief noch. Rafa hatte zwar gesagt ich solle ihn wecken wenn ich vor ihm wach war, allerdings sah er so friedlich aus weshalb ich ihn einfach nicht wecken konnte.

„Jetzt erzähl mal, Cousinchen. Wo hast du deinen Liebsten kennengelernt." Übertrieben stützte Simon seinen Kopf auf den Händen ab und klimperte mit den Wimpern. „Wir haben uns in der Schule kennengelernt." „Und was ist mit Sam?" „Sehr lange und sehr unschöne Geschichte." Simon verzog das Gesicht während er einen Löffel Müsli in seinen Mund schob.

„Morgen." Rafas raue Stimme ertönte hinter mir. Ich drehte mich leicht um und sah in sein verschlafenes Gesicht. Seine Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und seine Augen waren, genau wie meine, noch halb geschlossen.
Er zog den Stuhl neben mir nach hinten und setzte sich. Er drückte mir einen kurzen Kuss auf die Wange.
Simon wackelte mit den Augenbrauen während Carter uns amüsiert zusah.

Kurz darauf kam auch Mom an den Tisch, stellte eine Tasse Kaffee vor Rafael, die er dankend annahm, und sah anschließend in die Runde. „Angelina meinte ihr sollt alle etwas zusammen machen. Sie will, dass ihr aus dem Haus seid wenn sie alles vorbereitet." Genervt stöhnte ich auf. Bei Angelina musste immer alles perfekt sein. Und wenn es mal nicht perfekt war flippte sie komplett aus.

Das hatte ich einmal miterlebt.

Nicht schön.

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Lydia hatte uns tatsächlich in ein Jugendzentrum der örtlichen Kirche geschleift. Die Tatsache, dass hier nur versnoppte Kids in Röckchen und Pullunder herumrannten und uns anschauten als wären wir Außerirdische machte die Situation nicht unbedingt angenehmer.

Meine Brüder und mich hatten die meisten wenigstens schon einmal gesehen. Aber Rafael wurde von allen Seiten kritisch beäugt.
Die meisten Jungs hier trugen tatsächlich Stoffhosen und hatten die Haare ordentlich gemacht. Die Lackschüchen waren poliert und der Hemdkragen schaute ordentlich unter dem Pullunder hervor. Man könnte wirklich meinen die Leute hier waren in der Zeit stehen geblieben.
Hingegen dazu standen Rafas Haare wirr von seinem Kopf ab und die Designerjeans samt den neuesten Sneakern waren vermutlich teurer als das Outfit eines jeden einzelnen hier. Er fiel auf wie ein bunter Hund.
Allerdings ließ ihn das wohl ziemlich kalt. Während ich schon lange die Flucht ergriffen hätte saß er relativ gelangweilt neben mir, hatte einen Arm um mich gelegt und sah in sein Handy.

Lydias Blick lag die gesamte Zeit über missbilligend auf mir und auch ihre Freundinnen sahen mich giftig an. Meine Güte hatten die Probleme.

Von weitem sah ich Simon, der gerade mit seinem Cousin väterlicherseits das Jugendzentrum betrat. Er hieß Jona und war ein verdammtes Arschloch. Keinen Respekt, keinen Anstand. Wenn man ihn etwas fragte musste man mit keiner Antwort rechnen und sein Ego war größer als Texas. Was es noch über ihn zu sagen gab? Er war eine eingebildete, männliche Schlampe. Ganz einfach.
Man konnte nicht sagen, dass er nicht gut aussah, allerdings stieg ihm das ganz schön zu Kopf.
Ich war wirklich verdammt froh, dass ich wenigstens mit ihm nicht blutsverwandt war. Immerhin eine gute Sache an meinem Teil der Familie.

Mit dem typischen Grinsen auf dem Gesicht kam er auf meine Brüder, Rafa und mich zu. Er hatte noch nicht einmal seinen Mund aufgemacht und schon nervte er mich.
Er ließ sich gegenüber von uns auf ein Sofa fallen und sah uns der Reihe nach an. „Na, wie gehts meiner liebsten Familie? Und Roxy, du wirst immer hübscher." Augenverdrehend lehnte ich meinen Kopf an Rafas Schulter. Schleimer.
„Ach, kannst du nicht mehr reden, Roxylein?" Rafael legte sein Handy weg und sah auf. „Wenn sie dir nicht antworten will, dann braucht sie das auch nicht. Und an deiner Stelle wäre ich still, sonst kannst du nämlich bald nicht mehr reden. Verstanden?" Jonas Blick legte sich auf Rafael. „Und wer bist du, dass du glaubst mir etwas sagen zu können?" „Auf meinem Ausweis bin ich Rafael, aber ich kann ganz schnell zu deinem schlimmsten Albtraum werden." „Ach glaubst du das, du Möchtegern Gangster? Ich trainiere seit Jahren Kickboxen, du hast keine Chance gegen mich. Wenn du nicht aufpasst hast du ganz schnell ein blaues Auge." Rafael lachte rau auf. „Und wenn du nicht aufpasst, wirst du morgen früh nicht mehr aufwachen. Und jetzt geh mir nicht auf die Eier, sonst endet das ganz böse für dich." Ich musste ein Lachen unterdrücken als ich Jonas verdutztes Gesicht sah. Schmunzelnd ergriff ich Rafas Hand, der gerade aufgestanden war, und ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. Endlich hatte mal jemand Jona die Meinung gesagt.

Zusammen mit Rafael lief ich nach draußen und in Richtung des angrenzenden Waldes. Noch immer hielt er meine Hand umschlossen.
„Sorry, das musste sein. Der hat mich echt genervt." „Nicht nur dich, glaub mir." „Wer war der Vogel?" „Der Neffe von Thomas." „Dann haben wir ihn heute auch an der Backe?" „Leider." Rafa nickte verstehend während wir die Grenze zum Wald überquerten. Unsere Schritte raschelten im Laub das auf dem Boden lag und hier und da hörte man noch ein paar Vögel zwitschern.

Ich kuschelte mich tiefer in meinen weichen Schal und folgte Rafael, der noch immer meine Hand umschlossen hatte.
Bei jedem anderen anderen hätte ich Angst bekommen. Bei Sam hätte ich genau gewusst warum er mit mir in den Wald ging, aber vor Rafael hatte ich keine Angst. Auch wenn die vielleicht sogar berechtigt gewesen wäre wusste ich, dass mir Rafa nichts tun würde.

„Es ist so schön still hier." Ich nickte. „Wenn man in New York wohnt ist man sowas nicht gewohnt." Wir standen inmitten einer kleinen Lichtung. Die Sonnenstrahlen tanzten auf dem Boden und wärmten uns ein wenig.

Rafael stand vor mir und sah, wie so oft, auf mich herab.

„Du hast doch gesagt, dass du dich bei mir bedanken willst, oder?"


#Rafatag 2

In einer Stunde geht's weiter 🙌

Rafael // ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt