♕ Elion - Prolog ♕

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Geflüster, zu laut um es vollkommen auszublenden, doch zu leise um Worte zu verstehen. Sie redeten über mich, während ich den Gang entlang huschte. Spekulierten, lachten, tratschten. Zerrissen sich die Mäuler über mich, die halbe Komtess von Ostwald, das Kuckuckskind, den Bastard. Seit ich denken konnte verfolgten mich die feindseligen Blicke des Adels und der Reichen. Das Geflüster hatte nie aufgehört, kein einziges Mal. Wenn ich an meine Kindheit zurückdachte, hörte ich es und wenn ich an meine Zukunft dachte, hörte ich es auch. Es würde nie enden, dies war mir bewusst. Es war mein ständiger Begleiter und ich hatte mich daran gewöhnt, die bösartigen Worte auszublenden. Doch ab und zu zog mir ein Kommentar den Boden unter den Füßen weg und ich vergaß meine Manieren. Die Beherrschung zu verlieren war reichlich unpassend für eine Komtess, aber ich war eben nur eine halbe.

„Seht ihr dieses Haar? Das kann sie nur von ihrer Mutter geerbt haben – passend für eine Hure", zischte es eben von links und ich erkannte diese Stimme. Langsam blieb ich stehen und drehte mich zur Seite, nur um der betagten Dame ungläubig ins Gesicht zu starren. Sie war zu Gast auf Burg Ostwald, eine alte Bekanntschaft der Gräfin, und schickte mich seit Anfang ihres Aufenthaltes wie eine Magd in der Gegend herum, um Besorgungen für sie zu erledigen. Ich hatte mich bisher nicht beschwert, war sie doch schon ein wenig älter und konnte Botengänge kaum noch selber erledigen. Doch nun erkannte ich, dass sie es bloß tat, um mir Arbeit zu machen. Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, besann mich jedoch eines Besseren. Was nützte es wenn ich mich beschwerte, behandelten sie mich nicht alle wie eine Bedienstete?

Ich blickte zu Boden und eilte weiter, mir gewiss, dass der ganze Raum den Blick nun auf mein Haar gerichtet halten würde. Ich trug es offen, bis auf zwei dünne, geflochtene Strähnen, die mit einer silbern bemalten Holzperle an meinem Hinterkopf zusammengehalten wurden. Leah, meine Halbschwester von nur vier Jahren, hatte sie mir bei einem unserer seltenen Treffen geschenkt und ich verwendete sie beinahe jeden Tag, jedoch nur für einfache Zöpfchen, gegen welche die Gräfin nichts einzuwenden hatte. Komplex hochgestecktes Haar gehört sich nicht für gemeines Volk, pflegte Gräfin Oswald zu sagen und ich hatte selten die Kraft ihr zu widersprechen. Ich ging noch ein wenig schneller, darauf bedacht, nicht vor ihnen zu stolpern, oder mir eine sonstige Blöße zu geben, und atmete erst auf, als die Tür mit einem Knall hinter mir zufiel. Es war ruhig in meinem Turm, kein Geräusch störte die vermeintliche Stille. Doch in meinem Kopf hallten noch immer die Worte der alten Frau wider. Wer war meine Mutter? Woraus bestand die andere Hälfte der halben Komtess?

„Von zu viel Stirnrunzeln bekommt man Falten, Elion", sprach mich eine Küchenmagd der Burg plötzlich von der Seite an und ich erschrak so sehr, dass ich erst einmal nach Luft schnappen musste. Hanna war bereits acht Jahre alt gewesen, als ich an meinem vierten Geburtstag zum ersten Mal den westlichen Turm verlassen hatte dürfen, aber wir hatten uns rasch angefreundet. Seitdem wich sie mir nicht von der Seite und ohne sie wäre das Leben auf der Burg um einiges trostloser.

Ich lächelte sie beruhigend an. „Danke für den Rat. Ich bezweifle aber, dass es der Gräfin etwas ausmacht, wenn ich Falten bekomme, und mir ebenso wenig. Wofür sollte ich meine Jugend schon bewahren?"

Fassungslos starrte sie mich an, dann rollte sie mit den Augen und widmete sich wieder dem Tablett, auf dem meine simple Mahlzeit Platz fand. „Mir ist es gleich, was die alte Fuchtel will und das sollte dir genauso gehen. Sieh dir nur an wie sie dich behandelt! Wie einen ... einen ..."

Sie suchte nach einem passenden Wort und wedelte dabei so heftig mit den Armen, dass sie beinahe mein Mittagessen vom Tisch fegte. „Bastard", beendete ich den Satz leise, aber bestimmt.

Hanna hörte auf, wild zu gestikulieren und zog mich in eine feste Umarmung. Ihre wallende Mähne kastanienbraunen Haares erstickte mich dabei fast, doch ich genoss es zu sehr, um mich aus der Umarmung zu lösen. Hanna war ein wenig wie die große Schwester geworden, die ich nie gehabt hatte. „Halte noch ein wenig durch. Es ist noch nicht zu spät für deinen Ritter in schimmernder Rüstung. Eines Tages wird er kommen und dich mitnehmen, weit weg von dieser aufgeblasenen Gräfin und all ihren Wichtigtuern. Vielleicht wird er kein Königreich besitzen, aber jede Bauernhütte ist besser als dieser Ort."

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