♕ Raven III ♕

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Prüfend warf ich einen Blick zu dem stattlich gebauten Mann, der meine halb geöffnete Zimmertür bewachte. Kerzengerade stand er da, die Hände an seinem Gürtel, die rechte schwebte lauernd über dem Schwertgriff. Der Blick in seinen Augen war starr auf den Gang gerichtet, sodass es unmöglich war an ihm vorbeizukommen.

Wozu? Juliana würde hier nicht wie eine Furie hereingestürmt kommen und mich attackieren.

Seufzend ließ ich mich in meinem Sessel zurücksinken und bemerkte erst jetzt, dass mein Gegenüber auf eine Antwort zu warten schien.

„Ja, stimmt", sagte ich auf gut Glück, und es schien tatsächlich die richtige Antwort gewesen zu sein.

Jonathan lächelte erleichtert und fuhr sich mit einem Finger über die Augenbraue. Eine altbekannte Geste. Ein bisschen von Schuldgefühlen heimgesucht, da das Thema wichtig gewesen zu sein schien, lächelte ich warm zurück. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

„Raven, ich hab dich schon gesucht."

Überrascht drehten Jonathan und ich uns zu seinem kleinen Bruder um, der ein wenig außer Atem wirkte, wie er so in der Tür stand. Sein lockeres Hemd war unordentlich auf einer Seite in die Hose gestopft und die dunkelblonden Locken standen in alle Richtungen ab - kurz gesagt, er war optisch das genaue Gegenteil seines Bruders.

„Warum?", fragte ich ahnungslos, denn wir hatten uns kein Treffen ausgemacht und mir wollte auf die Schnelle nichts einfallen, für das er mich brauchen könnte.

Nach einem merkwürdigen Blickwechsel zwischen Cambriel und seinem älteren Bruder, den ich nicht zu deuten vermochte, erhob sich Letzterer.

„Danke für den Rat, Raven. Ich muss dann los."

Er war kaum aus der Tür, da begann sich Cambriel zu erklären. „Also ... ich brauche deine Hilfe. Begleitest du mich?"

Verwundert nickte ich, nach meinem bunten Schal greifend. Ich legte ihn mir um die Schultern, um mich vor den hochgradigen Erfrierungen zu schützen, denen ich am Gang sonst ausgesetzt gewesen wäre. „Natürlich. Wohin gehen wir?"

Er nickte der Wache zu, die uns daraufhin nicht folgte, sondern an der Zimmertür wartete. Cam gab mir keine Antwort, doch es dauerte nicht lange bis wir vor seinen eigenen Gemächern standen. Das neue Zimmer, das mir zugeteilt worden war, damit ich nicht in Julianas Reichweite schlief, lag in der Nähe der Räumlichkeiten der Prinzen. Obwohl ich schon einige Male in Jonathans Zimmer gewesen war, natürlich nur unter Aufsicht, betrat ich gerade zum ersten Mal Cambriels. Ohne Anstandsdame. Nur der Wachmann verharrte vor der Tür zu Cams Räumlichkeiten.

Hinter einer halb offenen Tür konnte ich ein breites Doppelbett erkennen, auf dem überall Kissen verstreut lagen. Die Decke bedeckte mehr vom Boden als vom Bett, ganz offensichtlich ging er genauso chaotisch mit seiner Räumen um wie mit seiner Kleidung. Die Bediensteten hatten sicher einiges an Mühe mit ihm.

Sich mit einer Hand verlegen durch die Locken fahrend, öffnete er die Türen eines großen Holzkastens.

„Du weißt, dass ich mich nicht gerne mit meiner Kleidung beschäftige, also ... Was hälst du für die bessere Wahl? Das sieht für mich alles gleich aus."

Der Prinz hatte zwei unterschiedliche Festkleidungen herausgezogen und auf den Ledersessel neben dem Schrank geworfen. Ich konnte es nicht verhindern und lachte laut auf.

„Ehrlich, Cam? Ich soll dir helfen, Kleidung für den Ball auszusuchen? Wie alt bist du denn?", prustete ich, mir den Bauch haltend. Er wirkte überhaupt nicht begeistert von meiner Reaktion, aber auch nicht sonderlich überrascht. Stattdessen wartete er geduldig, bis mein Gelächter abgeebbt war.

SilberblutWhere stories live. Discover now