♕ Epilog: Juliana ♕

396 34 2
                                    

Es war, als wäre kein Tag vergangen. Bis auf das leise Rascheln der Papiere in den Händen meines Vaters herrschte eiserne Stille am Abendbrottisch. Die Bediensteten standen an den Wänden, bereit, das Essen auf Befehl meines Vaters aufzutragen.

„Mutter, Vater." Grüßend senkte ich den Kopf, als ich mich hingesetzt hatte, was mein Vater gar nicht und meine Mutter mit einem hoheitsvollen Nicken zur Kenntnis nahm. Neslin schenkte mir ein schmales Lächeln, das ich erwiderte.

Nur zu deutlich war ich mir des Blickes bewusst, mit dem meine Mutter mich taxierte, doch sie würde an meiner Erscheinung nichts auszusetzen haben, dessen hatte ich mich im Spiegel versichert, bevor ich eingetreten war. Mein dunkelviolettes Brokatkleid saß perfekt, mein Haar war sorgfältig frisiert und in einem niedrigen Knoten am Hinterkopf befestigt.

Bestimmt legte mein Vater seine Papiere beiseite und richtete seinen Blick in meine Richtung. „Wir haben einige Dinge zu besprechen."

Mit hochgezogener Augenbraue wartete ich darauf, dass er weitersprach.

„Nachdem du unverrichteter Dinge aus der Hauptstadt zurückgekehrt bist, mussten wir uns nach einer Alternative umsehen. Dein Versagen machte uns die Verhandlungen beinahe unmöglich. Du hast Schande über unsere Familie gebracht." Obwohl ich mir sagte, dass seine strengen Worte nicht von Bedeutung waren, wäre ich trotzdem beinahe zusammengezuckt ob ihrer Härte. Es war etwas anderes, sie nicht nur auf Papier zu lesen, sondern sie mit bedrohlich leiser Stimme ins Gesicht gesagt zu bekommen. Anstatt Angst zu zeigen, setzte ich mich noch aufrechter hin.

„Du wirst Graf Appiani heiraten", kündigte meine Mutter nun an, einen Hauch von Endgültigkeit in ihrer Stimme. Nur mit Mühe drängte ich ein hysterisches Lachen zurück. Appiani? Sein Reichtum war auch schon alles, was er an Anreiz vorweisen konnte. Er war alt, fett und überdies hässlich. Das sollte die beste Partie sein, die meine Eltern aushandeln konnten? Zweifellos diente es nur dazu, mich für meine Unzulänglichkeit zu bestrafen.

„Appiani? Aber... sagt man ihm nicht... nun ja, gefährliche Vorlieben nach?", wandte Neslin ein, was mit einem giftigen Blick meiner Mutter quittiert wurde. Als die letzte Frau des Grafen vor einem Jahr gestorben war, hatte sich rasend schnell das Gerücht in der Grafschaft verbreitet, der Graf hätte keinen geringen Anteil daran gehabt. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, was die verstorbene Gräfin erdulden hatte müssen.

„Es ist bereits beschlossene Sache, die Vorbereitungen für die Hochzeit werden bald getroffen werden." Mein Vater, sicher, dass die Diskussion damit beendet war, wies die Bediensteten mit einer energischen Handbewegung dazu an, das Abendessen zu servieren. Ich sparte es mir, weitere Einwände vorzubringen und bedeutete auch Neslin, es nicht weiter zu verfolgen. Es hatte keinen Sinn, zu versuchen, sie umzustimmen. Ich begnügte mich damit, mir zwei Scheiben Braten auf meinen Teller zu laden und mit reichlich Soße zu übergießen. Auch bei den Erdäpfeln griff ich zu, sodass kaum mehr als ein Löffel Erbsen noch auf meinem Teller Platz hatte.

„Juliana, nimm dich zurück. Ich dulde keine Fressgier." Die leise Stimme meiner Mutter triefte vor Missbilligung, wie sie es schon mein ganzes Leben lang tat. Ich antwortete nicht, nahm mir aber noch eine Scheibe Fleisch.

„Juliana! Dieses Verhalten ist inakzeptabel." Seelenruhig schnitt ich mir ein großes Stück Fleisch ab und hob es an die Lippen. Herausfordernd sah ich meine Mutter an, die erbost ihre Gabel neben ihrem spärlich belegten Teller ablegte. Das Dienstmädchen, das soeben ihr Getränk nachfüllen wollte, wich vorsichtig aus und entfernte sich aus dem Gefahrenbereich – eine überlebensnotwendige Kompetenz, die alle Bediensteten in unserem Haushalt schnell lernten.

„Das werde ich nicht dulden. Hast du deinen Platz vergessen?" Mühsam unterdrückte Wut sprach aus ihren Worten, ihre scharfen Gesichtszüge verzogen sich zu einer grimmigen Maske. Doch sie würde sich nicht vergessen. So lange ich sie konnte, hatte ich sie nie schreien gehört. Dafür schätzte sie Kontrolle zu sehr. Kontrolle, die sich allerdings nicht mehr auf mich erstreckte.

SilberblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt